Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allein auf Wolke Sieben

Allein auf Wolke Sieben

Titel: Allein auf Wolke Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Voosen Jana
Vom Netzwerk:
eine Erschütterung und das Gefühl des Fallens endet abrupt. Plötzlich
habe ich Angst. Die Augen noch immer fest geschlossen, wage ich nicht, mich zu rühren.
    »Theo?«, wispere ich. »Theo?« Keine Antwort. Aber etwas anderes kann ich hören. Jemand atmet. Ansonsten Stille. Unheimliche Stille. Was mache ich denn jetzt? Ich lausche reglos, noch immer dieses Atmen. Vorsichtig öffne ich das linke Auge ein klitzekleines bisschen und sehe einen dunkelgrünen Pullover, abgewetzte Jeans und ein weißes T-Shirt zerknüllt auf einem Haufen liegen. Die darunter liegenden Holzdielen kommen mir seltsam bekannt vor. Erschrocken reiße ich die Augen auf.
     
    Mein ehemaliges Schlafzimmer versinkt im Chaos, überall sind Klamottenberge angehäuft, auf dem Bett sitzt, gegen die Wand gelehnt, Michael. Er trägt hellblaue Boxershorts und starrt vor sich hin. Aber obwohl ich direkt vor ihm, am Fuße des Bettes stehe, sieht er mich nicht, sondern schaut durch mich hindurch. Völlig regungslos. Nur das Heben und Senken seiner Brust deutet darauf hin, dass er lebt.
    »Michael«, flüstere ich, gehe um das Bett herum und setze mich auf die Kante. »Michael, bitte, hör mich doch.« Natürlich hört er mich nicht. Er sieht schrecklich aus. Die früher strahlenden Augen liegen matt und glanzlos in tiefen Höhlen, die Haare hängen ihm zerzaust in die Stirn. Er sieht so traurig aus, wie ich mich fühle. In diesem Moment erklingt ein schrilles Piepsen und ich mache vor Schreck einen Hüpfer. Michael zuckt nicht einmal, streckt nur die rechte Hand aus und haut auf den Wecker auf dem Nachtschränkchen, der Viertel nach sieben anzeigt. Daneben steht ein silberner Rahmen, aus dem ich mir selbst entgegenlache.

    »Guten Morgen«, sagt Michael, worauf ich erneut zusammenzucke. Mein Blick fliegt hinüber zur Badezimmertür, aber keine nackte Frau steht im Rahmen. Weder Julia noch sonst irgendjemand. Ich atme erleichtert auf und sehe wieder zu meinem Mann, dessen Blick auf dem Foto ruht, das er vom Nachtschränkchen genommen hat. »Ich vermisse dich auch heute Morgen kein bisschen weniger als gestern«, sagt er und es bricht mir das Herz. Sorgfältig stellt er das Bild zurück an seinen Platz, dann steht er auf und geht ins Badezimmer. Ich sitze auf der Bettkante und muss mich erst mal sammeln. Als im Nebenzimmer das Rauschen der Dusche einsetzt, erhebe ich mich schwerfällig und folge Michael nach nebenan. Beobachte ihn dabei, wie er duscht und bemerke, dass er schmal geworden ist. Ich kann beinahe jede Rippe zählen. Er rasiert sich, putzt seine Zähne, zieht Jeans, Hemd, Sakko und Wintermantel an und verlässt ohne Frühstück das Haus.
    »Kein Wunder, dass du so dünn bist. Du musst doch etwas essen«, rede ich auf ihn ein, während er auf sein Fahrrad steigt und losfährt. Ich denke gar nicht darüber nach, sondern renne einfach neben ihm her. Früher hätte ich das keine drei Minuten ausgehalten, unsportlich, wie ich war. Jetzt halte ich mühelos mit. Nach zehn Minuten hält Michael vor der Werbeagentur »Die Advertiser« in Eppendorf, in der er als Projektmanager arbeitet. Ich folge ihm ins Innere des modernen Büros. Er begrüßt seine Kollegen, setzt sich an den gläsernen Schreibtisch, fährt den Computer hoch, dessen Bildschirmhintergrund ein weiteres Foto von mir ziert. Sorgenvoll beobachte ich Michael dabei, wie er mit der Arbeit beginnt. Sein Gesichtsausdruck hat sich nicht
verändert, seit er heute Morgen aus dem Bett gestiegen ist. Telefonate mit Kunden, eine Konferenz, Mittagessen mit seinen Kollegen Benjamin und Andrea, ich weiche keine Sekunde von seiner Seite. Während ich zusehe, wie er bei dem Italiener um die Ecke in seinen Nudeln herumstochert, wünsche ich mir schon fast, dass ich einen kleinen Flirt zwischen ihm und Andrea mit ansehen dürfte. Alles wäre besser, als ihn wie einen Zombie durch sein Leben gehen zu sehen. Aber natürlich gibt es keinen Flirt, nicht mal ein Lächeln. Fast sieht es so aus, als sei Michael mit mir gestorben. Am Nachmittag erhält er einen Anruf auf seinem Handy. »Julia Mobil«, erkenne ich auf dem Display.
    »Hallo, Julia.« Ich spitze die Ohren und halte mein Gesicht ganz dicht an seines.
    »Michael, wie geht’s dir heute?«
    »Ganz gut, alles klar«, gibt er zurück, aber seiner Stimme ist eindeutig anzumerken, dass das gelogen ist.
    »Das ist doch gelogen«, sagt meine Schwester dann auch und ich nicke vehement.
    »Kann sein.« Schweigen.
    »Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, heute

Weitere Kostenlose Bücher