Allein auf Wolke Sieben
eins: Das silberne Schildchen, das noch immer an der Wand hängt. Fassungslos starre ich auf die
Buchstaben und mir wird plötzlich sehr schlecht. Ich schwanke und Thomas streckt hilfreich die Hände aus, um sie gleich darauf resigniert sinken zu lassen.
»Lena, so gerne ich dich mit meinen starken Armen auffangen möchte, wenn du ohnmächtig wirst, ich kann nicht.«
Kapitel 5
Also muss ich wohl oder übel alleine auf meinen Füßen stehen bleiben, obwohl ich mich so fühle, als hätte gerade jemand den Boden unter mir weggerissen. Noch immer starre ich ungläubig auf die Buchstaben, die vor meinen Augen verschwimmen. Dennoch besteht kein Zweifel, dass es sich um Michaels Namen handelt. Michael E. Sintinger. Mein Michael. Meine große Liebe.
»Wir waren schon über zwei Jahre zusammen, als er mir endlich erzählt hat, wofür das E. steht«, sage ich zu Thomas, der mich besorgt ansieht.
»Aha«, macht er hilflos.
»Zwei Jahre«, sinniere ich und schüttele langsam den Kopf. »Rate mal, was es heißt.«
»Ernst?«
»Nein, Egon«, gebe ich zurück. »Gar nicht so schlimm, oder?« Fragend sehe ich ihn an und er schüttelt den Kopf. Na eben, er findet den Namen auch nicht so schlimm. Michael hätte ihn mir auch viel früher verraten können. Das hätte nichts an meiner Liebe zu ihm geändert. Kann er doch nichts dafür, dass sein Patenonkel so heißt.
»Mein zweiter Name war Karen«, plappere ich weiter. »Schrecklich, oder?«
»Na ja.«
»Ich finde schon. Ich finde Karen schlimmer als Egon.« Wie lange kann ich mich noch über das Thema auslassen? Wie lange kann ich meine Gedanken vom Wesentlichen ablenken? Von der Tatsache, dass Michaels Lebenskugel hier hängt. In der »Abwicklung«, wie Thomas es so schön genannt hat, statt im großen Archiv beim Chef.
»Und du? Hattest du auch einen Zweitnamen?« Flehend sehe ich Thomas an, doch der schüttelt in Zeitlupe den Kopf. Mist! Ich krame in meinem Gedächtnis. Worüber kann ich sprechen? Ich will ihm erzählen, dass meine Eltern meiner Schwester Julia keinen zweiten Vornamen gegeben haben und sie immer schrecklich neidisch auf meinen war. Ich persönlich finde ja, es ist besser, keinen zu haben als so einen. Ob Thomas mir da zustimmen würde? Leider bringe ich keinen Ton mehr heraus. Michaels Leben liegt in Thomas’ Händen, funkelnd, strahlend. »Das ist doch ein Irrtum, oder?«, bringe ich heiser hervor und sehe ihn hoffnungsvoll an.
»Es tut mir leid«, murmelt er und kann mir dabei nicht in die Augen sehen.
»Wie …?«, setze ich an und er zieht etwas aus seiner Hosentasche. Es sieht aus wie diese Vergrößerungslupen, die Zahnärzte verwenden. Damit schaut er nun angestrengt in die Kugel hinein, in der kleine Lichtpunkte verschiedenster Farbe umherwirbeln.
»Freitagabend«, sagt er nach einer Weile, »allergischer Schock.«
»Nüsse«, sage ich tonlos und er nickt. Ich ringe um Fassung. »Das ist leider noch nicht alles.«
»Was denn noch?«, frage ich erschöpft, weil ich nicht weiß, ob ich noch mehr ertragen kann.
»Nun, ich habe dir ja eben erklärt, dass der Chef manche Aufträge selber zuordnet …«
»Ja. Und?«
»Nun, also …«, druckst er herum, während er gleichzeitig einen winzigen Knopf in der Wand drückt, den ich noch gar nicht bemerkt habe. Genau unter der Stelle, wo sich eben noch Michaels Lebenskugel befand, klafft plötzlich ein schmaler Spalt, aus dem sich uns ein silberner Umschlag entgegenschiebt. Im Gegensatz zu all den Aufträgen, die ich in den letzten Jahren erhalten habe, trägt dieser eine schwarze Beschriftung. Lena Kaefert, lese ich. Das kann nicht sein. Auf keinen Fall. Ja, der Boss und ich haben vielleicht nicht den allerbesten Draht zueinander, ehrlich gesagt kann ich ihn nicht ausstehen. Und er mich vermutlich spätestens seit Brief Nummer zweihundertneunundzwanzig auch nicht mehr. Aber so weit würde er ganz sicher nicht gehen. Oder doch? Unsicher sehe ich zu Thomas auf.
»Du meinst doch nicht …? Diesen Auftrag soll doch nicht etwa ich …?«
»Vanille-Kokos, einen Doppelten. Nein, einen Dreifachen«, rufe ich Samuel zu und lasse mich gleichzeitig auf einem der samtbezogenen Barhocker am Tresen nieder. Er hebt die Augenbrauen, doch bevor er noch irgendwelche gut gemeinten Ratschläge erteilen kann, herrsche ich ihn an: »Ich weiß, es ist noch früh, aber ich kann auf mich selbst aufpassen und heute habe ich nun wirklich allen Grund dazu, mich abzuschießen.«
»Na gut.« Ungeduldig sitze ich da und
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