Allein auf Wolke Sieben
auf meinen nackten Energiekörper zu werfen. Nicht einmal einen der üblichen Flirtversuche unternommen, und das, obwohl wir in meinem Schlafzimmer waren. Da hätte sich ein schlüpfriger Witz doch nun wahrlich angeboten. Ich springe aus dem Bett, schleiche zur Tür und luge durchs Schlüsselloch, ob er mir wenigstens heimlich beim Anziehen zusehen will. Fehlanzeige. Keine hellgrüne Iris mit dunkelgrauem Rand ist zu sehen, die ertappt zurückzuckt. Schnell greife ich in meinen Kleiderschrank und ziehe das erstbeste Outfit hervor, schlüpfe in Jeans und T-Shirt und verlasse mein Schlafzimmer, nachdem ich mir zweimal mit den Händen durch die verwuschelten Haare gefahren bin. In meinem Wohnzimmer wartet Thomas, die Hände in die Taschen seiner Leinenhose vergraben. Zwischen seinen Augenbrauen hat sich eine steile Falte gebildet.
»Ich mache mir wirklich langsam Sorgen um dich«, erkläre ich, während ich in meiner amerikanischen Küchenzeile, die ich mir zu meinem letzten Todestag gewünscht habe, an den hohen, verchromten Kühlschrank trete. Streng genommen ist das hier oben natürlich hirnrissig,
aber immerhin kann ich hier ein paar Smells unterstellen. »Kann ich kurz frühstücken«, erkundige ich mich und Thomas nickt knapp. Er macht immer noch dieses furchterregend ernste Gesicht. Ich greife nach einem schmalen Röhrchen, in dem sich die leuchtend gelbe Essenz am Boden abgesetzt hat. Ich schüttele es und öffne mit einem leichten »Plopp« den Korken.
»Zitrone. Willst du auch?« Thomas schüttelt dankend den Kopf und ich nehme einen tiefen Zug. Das säuerliche Aroma belebt meinen Geist und ich kann spüren, wie mein Energielevel steigt. »Ohne werde ich einfach nicht richtig wach, weißt du?« Diesmal ein knappes Kopfnicken. »Sonst bist du gesprächiger«, stelle ich ein wenig beleidigt fest und verkorke das halbleere Fläschchen wieder sorgfältig.
»Tut mir leid. Können wir dann?«
»Ja, ist ja schon gut«, antworte ich säuerlich, und das nicht nur wegen meines zitronigen Frühstücks. »Darf ich wenigstens wissen, wo es hingeht?«
»Zu ›Soulflow‹!«
Aber mehr ist auf dem Weg dorthin nicht aus ihm herauszubekommen. Ganz ernst läuft er neben mir her, wortkarg, in sich gekehrt.
»Bin ich wegen Arbeitsverweigerung verhaftet?«, frage ich irgendwann trotzig, doch er schüttelt nur den Kopf. Als wir »Soulflow« betreten, ist bloß ein einziger Schreibtisch geöffnet, vor dem sich eine ziemlich lange Schlange befindet. Als wir hereinkommen, entsteht eine leichte Unruhe und einige der Hintenstehenden rennen plötzlich los und postieren sich vor Thomas’ Schreibtisch, noch bevor wir beide die Halle nur halb durchquert
haben. Ich trotte hinter Thomas her, der entschuldigend die Hände hebt.
»Tut mir leid, aber dieser Schreibtisch wird noch nicht geöffnet, bitte stellen Sie sich noch nicht an.« Die Empörung in den Gesichtern spricht Bände und ich muss innerlich ein wenig grinsen, weil es hier oben auch nicht anders zugeht als bei Edeka an der Kasse. Immer diese Hektik. Man sollte doch meinen, dass die Leute hier ein bisschen friedfertiger sind. Unten konnte ich den Zeitdruck doch wenigstens einigermaßen nachvollziehen. Irgendwann ist das Leben nun einmal vorbei. »Komm, wir gehen da hinein«, sagt Thomas und deutet auf eine massive, mit Schnitzereien verzierte Tür zu unserer Linken.
»Ja, okay.« Eilig folge ich ihm dorthin. Die Tür ist wirklich gewaltig und durch insgesamt sieben Schlösser und schmiedeeiserne Riegel gesichert. Während hinter ihm das Geschimpfe lauter wird, zieht Thomas eilig einen überdimensionalen Schlüsselbund hervor und beginnt aufzuschließen. Als Letztes tippt er eine schier endlose Zahlenkombination ein, wobei er die Tastatur mit der anderen Hand vor neugierigen Blick schützt. Völlig lautlos gleitet die schwere Tür nach innen auf.
»Schnell!« Er winkt mich hinein und ich trete einen Schritt vor, während Thomas die Türe sorgfältig hinter uns schließt. Ich befinde mich inmitten pechschwarzer Finsternis und bleibe instinktiv stehen. Nicht dass ich mir irgendwie wehtun könnte, das Knie blutig schlagen oder den Knöchel verstauchen, es ist mehr so ein Reflex. Prompt läuft Thomas mitten in mich hinein, was sich so anfühlt, als würde eine Schar von Ameisen durch mich hindurchlaufen.
»He«, rufe ich entrüstet, mache schnell einen Schritt nach vorne und schüttele mich, um das Jucken und Bitzeln zu vertreiben.
»Tschuldigung! Warte, ich muss nur eben
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