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Allein auf Wolke Sieben

Allein auf Wolke Sieben

Titel: Allein auf Wolke Sieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Voosen Jana
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drehe den silbernen
Umschlag mit meinem Namen darauf zwischen den Fingern hin und her. Die offizielle Ausgabe an mich wäre natürlich erst am Freitag, aber Thomas meinte, ich bräuchte ein bisschen mehr Zeit, um mich an den Gedanken zu gewöhnen. Das ist wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Zwanzig Jahre wären zu kurz, um mich mit dem Gedanken an Michaels Tod anzufreunden. Schließlich reiße ich mich zusammen und öffne das Siegel mit dem geschwungenen G. Die letzte Hoffnung, dass es sich um ein Irrtum handelt, löst sich in Luft auf, als ich die goldenen Lettern sehe. Jetzt ist es offiziell: Mein nächstes Opfer ist Michael E. Sintinger, Alter: 36 Jahre, Wohnort: Hamburg, Todesursache: Allergischer Schock. Ich vertiefe mich in das Kleingedruckte: Michael wird in einem Restaurant namens »Nola« ein Dessert essen, welches Nüsse enthält. Und daran wird er sterben. Wieder und wieder lese ich die Worte. Das kann nicht sein. Wie soll das überhaupt funktionieren? Michael ist wirklich peinlich darauf bedacht, keine Nüsse zu essen. Er weiß doch, wie gefährlich die für ihn sind. Ich durfte ihn noch nicht einmal küssen, wenn ich in der Stunde zuvor auch nur ein Nutellabrötchen gegessen hatte. Was dazu geführt hat, dass mein Nutellakonsum rapide zurückging. Warum also sollte Michael plötzlich so dusselig sein? Wahrscheinlich wird es einen tragischen Fehler in der Restaurantküche geben, anders kann ich es mir nicht erklären. Logisch, am Freitagabend werden die natürlich alle Hände voll zu tun haben. Und da geht eine Information wie »Bitte den Nachtisch ohne Nüsse, der Gast ist allergisch« schnell mal in der allgemeinen Hektik unter. Wenn ich hier oben schwitzen könnte, würden mir bei dem Gedanken glatt die Hände
feucht werden. Was für ein Alptraum. Ich sehe Michael vor mir, wie er genießerisch einen Löffel nimmt, plötzlich stockt, rot anläuft und keuchend nach Luft ringt. Er rutscht von seinem Stuhl, greift sich panisch an die Kehle, die unabwendbar von innen zuschwillt, bevor er … In diesem Moment erscheint ein überdimensionaler Flakon vor mir, in dem die vertrauten Aromen sachte wabern. Genau das, was ich jetzt brauche. Ich schüttele wütend den Kopf, um meine grauenhaften Gedanken zu vertreiben, nicke Samuel dankend zu und nehme mit geschlossenen Augen einen tiefen Zug. Wie immer wirkt das Zeug sofort, ich befinde mich wieder am Strand, das Sonnenöl duftet auf meiner Haut. Lächelnd wende ich mich Michael zu, der mit geschlossenen Augen neben mir liegt, den Arm auf meiner Brust. Ich stupse ihn zärtlich in die Seite. Keine Reaktion. Ich küsse seine Nasenspitze. Keine Reaktion. Ich richte mich halb auf, umfasse seine Schultern und schüttele ihn, doch er wacht nicht auf. Sein Kopf fällt zur Seite. Er ist tot.
    Ich öffne wieder die Augen und sehe mitten in das besorgte Gesicht von Samuel.
    »Alles okay mit dir?«
    »Nein«, stöhne ich und schiebe den Rest des übergroßen Smells angewidert von mir.
    »Das kommt davon, wenn man es übertreibt«, meint er und ich sehe ihn böse an. Dann schüttele ich den Kopf.
    »Nein«, sage ich langsam, »das kommt davon, wenn man sich mit dem Boss anlegt.«
     
    Irgendwo habe ich mal was über einen rachsüchtigen, zornigen, grausamen Gott gelesen, der die Menschen
gnadenlos für ihre Sünden bestraft. Ich selber bin im evangelischen Glauben erzogen worden. Für mich war Gott ein lieber, alter Mann mit langem weißem Bart, der auf seiner Wolke sitzt und wohlwollend auf die von ihm erschaffene Erde hinuntersieht. Das glaubte ich zumindest bis zum Tage meines Todes. Danach ist mein Verhältnis zu ihm bekanntermaßen merklich abgekühlt. Jetzt bereue ich meine zahllosen unfreundlichen Briefe, in denen ich meiner Wut freien Lauf gelassen habe. Nein, streng genommen bereue ich immer noch nicht, dass ich sie geschrieben habe, sondern nur, dass ich jetzt die Konsequenzen dafür zu tragen habe. Und dass Michael mein Fehlverhalten mit dem Leben bezahlen muss.
    Den ganzen Tag sitze ich grübelnd im »Sternenfänger« am Tresen, ohne auch nur einen weiteren Smell zu bestellen oder Samuel, der mir vorwurfsvolle Blicke zuwirft, zu beachten. Kurz vor Sonnenuntergang wird es schließlich merklich voller und irgendwann taucht auch Thomas auf und lässt sich neben mir nieder.
    »Da bist du ja«, stellt er fest und ich nicke düster. Ja, hier bin ich. »Ich habe mir schon Sorgen gemacht, als du einfach so davongestürmt bist.«
    »Nicht nötig«, gebe ich müde

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