Allein auf Wolke Sieben
gleich darauf steht Omi Liesel vor mir.
»Omi«, rufe ich und sie zuckt entschuldigend mit den Schultern.
»Ich weiß, du möchtest deine Ruhe haben, aber deine Aura sah von oben gar nicht gut aus. Und von hier sieht sie sogar noch schlimmer aus.« Sie nickt ernst.
»Aber nein, es ist alles in Ordnung«, wehre ich ab, als im selben Moment Paula mit einem Plumps auf dem Fensterbrett landet und ein Begrüßungsgurren ausstößt.
»Hallo, Paula«, sage ich und lade sie mit einer Handbewegung ein, auf den Küchentresen zu fliegen. Fragend wandern ihre schwarzen Knopfaugen von meiner Großmutter zu mir und zurück. »Das ist meine Omi Liesel. Omi, das ist Paula«, stelle ich die beiden einander vor.
»Angenehm«, lächelt Omi breit, während Paula zufrieden mit dem Kopf nickt. »Schätzchen, wäre es vielleicht möglich, dass du mich deinen Freunden in Zukunft
nicht mehr mit Omi vorstellst? Das macht mich so alt.«
»Ach so, natürlich«, nicke ich zustimmend.
»Und jetzt raus mit der Sprache, was ist los?« Sie heftet ihre klaren blauen Augen auf mich und ich senke den Blick. »Nichts da, mein Fräulein, hör auf, mir auszuweichen«, sagt sie. »Nun rede schon mit mir, vielleicht kann ich dir helfen.« Ich schüttele heftig den Kopf.
»Ich fürchte nicht«, sage ich mit Grabesstimme, »es sei denn, du hast zufällig gerade die Adresse vom Boss parat.«
»Willst du seine Privatanschrift oder sein Büro?«
Ich entschuldige mich bei Paula dafür, sie unnötig herbestellt zu haben, und winke ihr zum Abschied nach. Dann drehe ich mich langsam wieder zu Omi um und hole tief Luft.
»Schätzchen, du musst nichts sagen, ich weiß über alles Bescheid«, unterbricht sie mich. »Vielleicht ist es dir noch nicht aufgefallen, aber ich weiß so manches, was die anderen nicht wissen. Geheimnisse haben mich von jeher gereizt. Was meinst du wohl, wie ich deinen Großvater ausfindig gemacht habe? Manchmal muss man sich über Regeln hinwegsetzen, wenn man ein Ziel hat. Und mittlerweile macht es mir einfach Spaß, Dinge zu wissen, die andere nicht wissen. Und wenn ich nachts nicht einschlafen kann und darüber nachdenke, dass dein Großvater in seinem derzeitigen Leben auf der anderen Seite der Welt mit einer anderen Frau zusammenlebt, nun, dann hacke ich mich in die Datenbank der WWLA ein …«
»Der was?«
»Weltweite Lebensarchivierung. Und dort vertiefe ich mich ein bisschen in meine früheren Leben. Einige davon habe ich zwar mit Hinrich verbracht, aber einige auch nicht. Du glaubst ja nicht, mit wem ich schon alles...« Sie lächelt verträumt, während ich ein wenig beschämt zur Seite gucke. Für meinen Geschmack ist das ein bisschen zu viel Information. Omi bemerkt meine Verlegenheit und sagt: »Nun, jedenfalls geht es mir dann gleich besser. Übrigens, möchtest du ein Geheimnis über unseren gut aussehenden Freund, den Barkeeper, wissen?«
»Der war ein jüdischer Geistlicher«, sage ich stolz, weil ich auch endlich mal etwas weiß, aber sie schüttelt den Kopf.
»Das war doch erst im letzten Leben, das weiß ja sogar er noch. Nein, ich bin ein bisschen weiter in seine Vergangenheit gegangen und du wirst nicht glauben, was ich herausgefunden habe!« Sie macht eine bedeutungsschwangere Pause und ich hänge an ihren Lippen. Nun hat sie mich doch neugierig gemacht.
»War er jemand Berühmtes?«, frage ich und sie nickt.
»Sehr berühmt! Eigentlich hätte ich selbst drauf kommen können. Hast du mir nicht erzählt, dass diese Kreationen allein seine Idee waren?« Ich nicke und sie seufzt: »Eine echte Künstlerseele, fürwahr.«
»Jetzt mach es doch nicht so spannend«, rufe ich aus.
»Er war Wolfgang Amadeus Mozart.«
»Ach Quatsch«, entfährt es mir.
»Wenn ich es dir doch sage. Kein Zweifel. Ist das nicht wundervoll? Er hat mir von Anfang an imponiert«, sagt sie mehr zu sich selbst. »So habe ich mir den Himmel immer vorgestellt: Ich mit Mozart zusammen auf einer Wolke.«
»Du willst mit Samuel auf einer Wolke sitzen?«, frage ich alarmiert.
»Ja natürlich«, strahlt sie mich an.
»Und was ist mit Opa?«
»Dein Opa schläft jede Nacht mit einer langbeinigen Blondine namens Sandy«, antwortet sie verstimmt.
»Schon, aber …« Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber da hebt Omi beschwichtigend die Hand. »Schätzchen, es ist nicht so, dass ich deinen Opa nicht liebe. Ich liebe ihn sehr. Was meinst du, warum ich sonst schon seit so vielen Jahren hier oben bin? Ich werde auf ihn warten. Er war die
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