Allein auf Wolke Sieben
Liebe vieler meiner Leben und er wird auch die Liebe meines nächsten Lebens sein. Aber wäre es nicht phantastisch, wenn Mozart die Liebe meiner Zwischenleben würde?«
»Hier oben kann man doch gar nicht …«, erinnere ich sie, doch sie wischt meine Bedenken vom Tisch.
»Das will ich doch auch gar nicht. Mit einem Mozart schläft man doch nicht, mit dem philosophiert man. Dabei fällt mir ein, hast du nicht Lust, mit mir in den ›Sternenfänger‹ zu gehen?«
»Du willst es ihm doch nicht verraten, oder?«
Sie schüttelt nachdrücklich den Kopf.
»Selbstverständlich nicht. Ich gehe zwar nicht ganz konform mit dem Boss, was Paragraph 14 Absatz 3 im RzS anbelangt, aber …« Mein wenig intelligenter Gesichtsausdruck lässt sie stocken. »Das Regelwerk zur Seelenwanderung. Um die Reifung der Seelen zu optimieren, wird ihre Erinnerung auf das jeweils letzte Leben auf Erden begrenzt«, erläutert sie knapp und fährt dann fort: »Aber in diesem Fall könnte die Information den armen Samuel vielleicht tatsächlich überfordern.
Wie geht man damit um, in einem vorherigen Leben ein Genie gewesen zu sein? Nein, ich werde nichts sagen. Aber es wird ein Heidenspaß werden, ihn mal unauffällig zu seiner Meinung über klassische Musik zu befragen. Wollen wir dann?«
»Das geht nicht, ich muss zum Chef«, sage ich, weil mir plötzlich meine Mission wieder einfällt.
»Aber doch nicht mehr heute Abend«, sagt Liesel entrüstet, »das mag er gar nicht.«
»Woher weißt du das denn jetzt schon wieder?« Ich bin perplex. »Sag bloß, du warst schon mal bei ihm. Du hast ihn gesehen?«, frage ich aufgeregt, aber sie schüttelt den Kopf.
»Aber nein«, sagt sie schlicht, »wozu auch?«
»Aber du hast doch gesagt, er mag keinen späten Besuch.«
»Das sagt mir der gesunde Menschenverstand. Nein, nein, wir werden uns hüten, ihn zu dieser nachtschlafenden Zeit in seinen Privaträumen zu stören.«
»Wir?«
»Natürlich wir. Glaubst du etwa, ich lasse dich alleine gehen? Irgendjemand muss doch schließlich auf dich aufpassen!« Gerührt sehe ich meine Großmutter an, wie sie da aufrecht, entschlossen und blutjung vor mir steht. Eine bessere Freundin könnte ich mir hier oben gar nicht wünschen. Ich schöpfe wieder Hoffnung. Vielleicht wird alles gut werden, vielleicht kann ich mit Liesels Hilfe Gott tatsächlich umstimmen.
Obwohl ich mich mit den Smells stark zurückhalte, schlafe ich schlecht in dieser Nacht. Immer wieder sehe ich Michaels toten Körper vor mir, seine gebrochenen
Augen. Es ist furchtbar. Noch vor Sonnenaufgang stehe ich auf und warte, auf der Fensterbank sitzend, ungeduldig auf meine Großmutter. Ich mache mir große Sorgen, ob unser Plan funktionieren wird. Wird man mich wirklich so einfach zum Chef vorlassen? Und wenn ja, kann ich ihn überzeugen? Es ist Dienstagmorgen, und wenn ich versage, dann ist Michael in weniger als hundert Stunden tot. Mausetot. Das möchte ich ihm wirklich gerne ersparen …
Kapitel 6
MEIN LETZTER TAG
Ich lausche dem gleichmäßigen Schlag meiner eigenen Herztöne, zuverlässig wiedergegeben von der Herz-Lungen-Maschine neben dem Krankenhausbett, die mein einziger Begleiter durch die einsamen Nächte ist. Ich zähle mit, bis tausend, bis zehntausend, verliere mich in unruhigen Träumen. Ich lausche. Noch immer das Piepsen neben mir. Wann wird es endlich Morgen? Dann endlich, Schritte draußen auf dem Flur, Viertel nach fünf, Türen werden geöffnet, Lichtschalter betätigt, Patienten geweckt. Nicht hier, nicht auf meiner Station, aber im Stockwerk darunter. Mein Gehör ist in den letzten Monaten besser geworden, ich nehme alle möglichen Geräusche wahr. Im Zimmer unter mir flucht wieder der Mann mit der rauen Stimme. Warum man ihn zu dieser nachtschlafenden Zeit wecke? Er sei schließlich krank. Gleich darauf die Stimme von Schwester Carmen, ruhig, freundlich, aber auch bestimmt. Jetzt wird die Tür zu meinem Zimmer geöffnet, das Klicken eines Lichtschalters, Birkenstocks auf Linoleum.
»Guten Morgen, Frau Kaefert!« Die Vorhänge gleiten mit einem vertrauten Rascheln zur Seite, jemand berührt
flüchtig meine Hand, meine Haut prickelt an der Stelle. Ich spüre eine Veränderung um mich herum, Schwester Klara lehnt sich zu mir herunter und fragt: »Wie geht es Ihnen? Möchten Sie heute vielleicht aufwachen?« Ja, will ich rufen, es gibt nichts, was ich lieber täte. Aber ich kann nicht. »Nun?«, fragt sie erneut. Ich liege da, hilflos. Wieso kann ich meine Augen
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