Allein auf Wolke Sieben
Verlobter.« Sie nickt.
»Ich weiß. Du hast mir vierhundertsiebenunddreißig Briefe über ihn geschrieben.« Vor lauter Verblüffung bleibt mir das Wort im Halse stecken. »Aber ja, ich habe sie gelesen. Das war doch wohl Sinn und Zweck der Übung.«
»Schon, aber wieso …?« Ratlos sehe ich sie an. Plötzlich hellt sich ihre Miene auf und sie lächelt mich gütig an.
»Weißt du, ich kann es zwar noch immer nicht gutheißen, dass du dich hier reingeschlichen hast, aber der Zweck heiligt schließlich die Mittel. Und dass du den Weg auf dich genommen hast, nur um dich bei mir zu bedanken, also, dafür verzeihe ich dir sogar den sadistischen Mistkerl.« Freundschaftlich zwinkert sie mir zu. »Also: Gern geschehen!«
»Wie bitte?«
»Gern geschehen«, wiederholt sie. »Es passiert nicht oft, dass die Menschen dankbar sind, hör nur.« Damit greift sie nach der Fernbedienung. »Das sind alle Gebete«, ruft sie mir über den Lärm hinweg zu, »und jetzt kommen die Danksagungen.« Sie drückt auf einen Knopf und augenblicklich ist es still im Raum. Beängstigend still. Dann piepst eine hohe Kinderstimme: »Lieber Gott, danke, dass du meine Mama wieder gesund gemacht hast.«
»Krebs«, flüstert Gott mir zu. Einige andere Stimmen kommen hinzu: »Danke für meinen gesunden Sohn«,
»Danke, dass ich wieder eine Arbeitsstelle gefunden habe«, »Danke, dass ich nun doch schwanger geworden bin«.
»Schön, dass es noch Menschen gibt, die dankbar sein können«, stellt Gott nach einer Weile fest, »die meisten können nur fordern.« Zum Beweis drückt sie ihre Fernbedienung und die Gebetsfetzen regnen auf mich nieder, bevor sie die Lautstärke wieder dimmt. Ich fühle mich alles andere als wohl in meiner Haut. »Ich hätte dich nicht für den dankbaren Typ gehalten«, stellt sie fest und mustert mich ein wenig kritisch. »In deinen Briefen hast du dich jedenfalls immer nur beschwert, kein einziges Wort darüber, dass du ein wirklich erfülltes Leben hattest. Und eine große Liebe. Na ja, Schwamm drüber. Geh nun lieber wieder raus und rette deine Großmutter vor Knut und Roderich«, sagt sie mit einem ironischen Unterton. »Und komm nicht wieder her.«
»Ich bin nicht hier, um mich zu bedanken«, platze ich heftiger heraus als beabsichtigt. Sie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Nicht?«
»Sie wollen meinen Verlobten umbringen und denken, dass ich das für eine gute Idee halte?«
»Du hast geschrieben, dass er deine große Liebe ist. Und dass du, milde ausgedrückt, mit meiner Entscheidung, dich holen zu lassen, alles andere als einverstanden warst. Aufgrund deines unverschämten Tones hätte ich am liebsten überhaupt nicht reagiert«, sagt sie kühl und streicht sich mit der Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Diese Haarfarbe, merkwürdig, ich kann sie nicht definieren, sie ist … »Gib es auf«, fährt sie mich an. »Ich habe dir einen gewissen Respekt für deine Hartnäckigkeit
gezollt. Du kannst nicht zurück, also habe ich sein Schicksal umgeschrieben, damit ihr wieder zusammenkommt. Was ist also deiner Meinung nach nun wieder falsch?« Unwillig sieht sie mich an, aber ich bin jetzt so empört, dass ich meine Scheu verliere. »Denken Sie eigentlich auch mal nach, bevor Sie willkürlich irgendwelche Schicksale umschreiben?«, rege ich mich auf. »Michael ist doch noch so jung, sein Leben liegt noch vor ihm. Und dann soll ich ihn auch noch abholen. Das ist das Grausamste, was ich je gehört habe!«
»Ach ja?« Der Blick ihrer Augen scheint mich förmlich zu durchbohren, kein Muskel zuckt in dem glatten Gesicht. In diesem Moment verdunkelt sich der Himmel über uns, das strahlende Blau weicht in Sekundenschnelle einem von grauen Wolken durchzogenen Schwarz. Blitze zerreißen die Dunkelheit, als Gott mit einer ruckartigen Bewegung aufsteht. Erschrocken weiche ich einen Schritt zurück. Sie ist viel größer, als ich angenommen hatte. In das Grollen über uns mischt sich ihre Stimme, die plötzlich so laut ist, dass ich nur mit Mühe widerstehen kann, mir die Ohren zuzuhalten. Von allen Seiten scheint sie auf mich einzuschallen.
»Wenn dir meine Lösung des Problems nicht gefällt, dann hättest du dich eben klarer ausdrücken müssen«, donnert sie. »In vierhundertsiebenunddreißig Briefen hast du mir nicht einen einzigen Lösungsvorschlag angeboten. Aber so ist es ja immer mit euch Menschen: Beten und bitten, das könnt ihr. Über die Ausführung kann sich ja dann die Dumme da oben den Kopf
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