Allein auf Wolke Sieben
zu spüren. Diese Smells mögen ja eine gute Idee von Samuel gewesen sein, aber im Vergleich zum echten Genuss schneiden sie schlecht ab. Aus der Küche zieht ein verführerischer Duft an mir vorbei, nach frischen Kräutern, Knoblauch und gebratenem Fleisch. Es riecht so gut, dass ich allen Ernstes Hunger bekomme und das Gefühl habe, mein Magen knurrt. Eine absurde Vorstellung, da ich gar keine Innereien besitze. Aber ich habe schon so lange nichts mehr gegessen. Genau sechs Jahre, drei Monate und neun Tage.
Nein, falsch, es sind sogar sechs Jahre, drei Monate und zehn Tage, denn schon am Vorabend meiner Hochzeit konnte ich vor lauter Aufregung keinen Bissen runterkriegen, und das, obwohl es auf unserem Polterabend eine köstliche Käsesuppe mit Lauch und Hackfleisch gab. Hätte ich gewusst, dass es meine letzte Mahlzeit sein würde, hätte ich mir wohl doch ein Schälchen davon genehmigt, Nervosität hin oder her. Ich sehe mich im Raum um, beobachte die Menschen, die zusammen essen, lachen, einander über den Tisch hinweg bei den Händen halten, und hoffe, dass sie alle ihr Leben und die damit zusammenhängenden Privilegien in vollen Zügen genießen. Und obwohl ich schrecklichen Hunger habe, meine ich damit am wenigsten das Essen. Gerade beobachte ich einen zärtlichen Kuss zwischen zwei Frischverliebten, als ich eine vertraute Stimme höre. Vor lauter Schreck rutsche ich von meinem Barhocker, rapple mich wieder auf und sehe in die Richtung, aus der die Stimme kommt. Während Sandra die beiden zu ihrem Tisch begleitet, flüstert Michael Katrin etwas ins Ohr. Vermutlich, dass sie umwerfend aussieht, denke ich eifersüchtig und muss zugleich zugeben, dass er damit nicht mal übertreibt. Ihre blonden Haaren fallen in weichen Wellen über die Schultern, das schmal geschnittene, hellgrüne Kleid betont ihre zarte Figur und die strahlenden Augen. Verliebt sieht sie zu ihm auf und lächelt ihn an.
»Danke, du auch«, sagt sie leise. Ihr gebe ich wesentlich lieber recht. Er ist ein toller Mann, und der Anzug steht ihm ausgezeichnet. Ich trete an den Tisch der beiden, während sie sich hinsetzen. Selbstverständlich rückt Michael Katrin, Gentleman, der er ist, den Stuhl zurecht. Ich hingegen muss selber sehen, wie ich zurechtkomme.
»Guten Abend«, grüße ich leise und sehe von einem zum anderen.
»Das ist ein tolles Restaurant«, sagt Katrin und sieht sich begeistert im Raum um.
»Hat mir Oli empfohlen«, erklärt Michael, tastet unauffällig nach seiner Sakkotasche und entspannt sich dann sichtlich.
»Schon gut, ich habe den Ring ja schon gesehen«, sage ich großzügig, obwohl mir völlig klar ist, dass die Heimlichkeiten sich in keiner Weise auf mich beziehen. Leider.
»Er sagt, er hat noch nirgendwo besser gegessen und wir sollen unbedingt das Menü Nummer zwei nehmen«, fährt Michael fort und Katrin klappt entschlossen die Karte, die sie eben erst geöffnet hat, ungesehen wieder zu.
»Na dann machen wir das doch«, nickt sie zustimmend.
»Das ist keine gute Idee«, sage ich eindringlich und versuche, meine Hand auf die Karte zu legen. Was natürlich nicht funktioniert. »Nicht Menü zwei«, wende ich mich an Michael, »bitte, schau wenigstens mal kurz in die Karte. Vielleicht ist da etwas anderes, was du unbedingt essen möchtest«, flehe ich, und tatsächlich öffnet er die Speisekarte.
»Also, die Katze im Sack möchte ich nun doch nicht kaufen«, sagt er grinsend. »Menü zwei: Schaumsüppchen mit Bärlauch, Mozzarella-Erdbeer-Sticks mit Minzpesto, Rindsmedaillons mit Morcheln-Marsala-Soße auf gedünstetem Blattgemüse und zum Dessert flüssiges Schokoladentörtchen. Klingt gut, oder?«
»Himmlisch«, seufzt Katrin, und auch mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Aber davon darf ich mich
jetzt nicht ablenken lassen. Ich beuge mich zu Michael herüber, ignoriere seinen unvergleichlichen Duft nach Parfüm, Niveacreme und Kaugummi und studiere eingehend die Karte. Er muss etwas übersehen haben. Das klingt alles ganz und gar nicht nach Nüssen. Aber bei dieser neumodischen Küche weiß man ja nie, ob die das Rind nicht möglicherweise mit Erdnüssen spicken.
»Darf es schon etwas zu trinken sein?«, erkundigt sich Melanie, an den Tisch tretend, freundlich und Michael klappt mir die Karte vor der Nase zu. Gerade noch rechtzeitig kann ich meinen Kopf zurückziehen. »Vielleicht ein Aperitif?«
»Champagner«, antwortet Michael prompt, was ihm einen überraschten Blick von Katrin einbringt.
»Gibt es
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