Allein auf Wolke Sieben
Gegenvorschlag, aber Johann will jetzt seinen Willen durchsetzen. Und ich weiß nicht, wie ich ihn davon abhalten soll. Ich wünschte, Liesel wäre hier.
»Lena, was um alles in der Welt machst du denn da?«, höre ich im selben Moment ihre Stimme und mache einen Satz nach hinten. Durch den Jungen vor mir geht ein Ruck, er kracht mit seinem vollen Gewicht gegen den Tisch und fegt dabei klirrend mehrere Schalen herunter. Zu unseren Füßen ergießt sich ein buntes Durcheinander aus Himbeeren, Schokostreuseln, Minzblättchen und – Haselnüssen.
»Was hast du jetzt wieder angestellt?«, ruft Herr Küster
zu uns herüber und er klingt mittlerweile eher erschöpft denn gereizt. Mit vorwurfsvollem Blick kommt Christiane herbeigeeilt.
»Tut mir leid«, murmelt Johann beschämt und beginnt, die Bescherung mit einem Handkehrer aufzufegen. All das bekomme ich jedoch nur am Rande mit. Ich erhole mich nämlich immer noch von dem Schock, dass meine Großmutter so plötzlich hier in der Küche des »Nola« aufgetaucht ist.
»Liesel, was machst du denn hier?«, frage ich sie, während zu unseren Füßen eifrig gekehrt wird.
»Ich habe lange über unser Gespräch von gestern nachgedacht«, erklärt sie, »und ich bin hergekommen, um dir zu helfen. Aber wie ich eben sehen konnte, bist du auf meine Hilfe anscheinend gar nicht angewiesen.« Ein anerkennendes Lächeln umspielt ihren Mund. »Dafür, dass du nie auch nur ein einziges Seminar in Sachen ›Steuern und Leiten‹ belegt hast, bist du ziemlich gut! Anscheinend ein Naturtalent.«
»Ach, das glaube ich nicht«, winke ich ab, »es lag an ihm. Er hat mich ganz einfach reingelassen.«
»Stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Niemand lässt einen einfach so rein. Dazu gehört enormes Einfühlungsvermögen und ein starker Wille.« Ich lächele geschmeichelt. »Und anscheinend hast du dein Ziel erreicht. Ganz ohne mich.« Wir sehen hinunter auf die Bescherung.
»Nun, die Nüsse landen jedenfalls nicht im Dessert«, stelle ich fest. Ein unglaubliches Hochgefühl macht sich in mir breit. Sollte es wirklich geklappt haben? So einfach, nun ja, vergleichsweise einfach, habe ich den Tod überlistet?
»Du bist ein Trampeltier«, wispert Christiane, sich aufrichtend, unwillig. Dann fällt ihr Blick auf die Dessertteller. »Aber das hast du schön gemacht«, lobt sie dann und schenkt ihm ein aufmunterndes Lächeln. »Die nehme ich gleich mit. Gucken Sie mal, Herr Küster, ist das eine schöne Deko oder nicht?«, fragt sie laut, während sie an ihrem Boss vorbeigeht.
»Ja, das ist nett«, gibt er widerwillig zu, »jetzt aber dalli, sonst sind die Törtchen nicht mehr flüssig, wenn sie auf den Tisch kommen.« Vorsichtig positioniert Christiane jeweils ein verführerisch duftendes Schokoladentörtchen auf der Tellermitte, stellt sie auf die Durchreiche zum Tresen und haut ein paar Mal auf die daneben stehende, altmodische Klingel. Gleich darauf erscheint Melanie.
»Tisch vier? Danke!« Und damit trägt sie die Teller davon. Ungläubig sehe ich Liesel von der Seite an.
»Glückwunsch«, sagt sie anerkennend.
»Danke«, antworte ich erschöpft und werfe einen besorgten Blick auf Johann. »Ist er okay? Ich meine, kann ich irgendwas in ihm kaputt gemacht haben?« Liesel tritt an den Jungen heran und mustert ihn aufmerksam. Dann streckt sie ihre Hand aus und legt sie ihm kurz auf die Stirn. »Das Ende war ein bisschen plötzlich, aber das zieht keinen dauerhaften Schaden nach sich. Wahrscheinlich ist er für den Rest des Tages nur ein bisschen tollpatschiger als sonst.« Oje! »Aber sonst kein Grund zur Beunruhigung. Komm, wir gehen rein. Ich möchte deine Nachfolgerin gerne mal sehen.«
»He«, sage ich verletzt, folge Liesel aber dann doch ins Restaurant, nicht ohne mich vorher noch einmal an Johann zu wenden.
»Vielen Dank«, flüstere ich ihm ins Ohr, »das werde ich dir nie vergessen.«
Zusammen mit Liesel lasse ich mich an dem soeben freigewordenen Nebentisch von Michael und Katrin nieder.
»Sie ist hübsch«, erklärt Liesel nach einer Weile und ich nicke.
»Ja, ich weiß.«
»Nicht so hübsch wie du, aber doch annähernd.« Ich lächele. Das musste sie ja jetzt sagen, aber es ist trotzdem nett von ihr. Dabei fällt mir ein: »Du bist wirklich hergekommen, um mir zu helfen? Und was ist mit deiner Lizenz? Und dem Disziplinarverfahren?«
»Ich sage ja nicht, dass mir die Entscheidung leicht gefallen ist«, gibt sie zu, »aber letzten Endes dachte ich, Gott hat mir
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