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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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innerhalb der Grenzen des Anstands wäre, wenn ich mein Kinn auf den Tresen lege, bis mein Taxi kommt.
    »Ich stamme aus London«, sagt er lächelnd und nimmt von Rob mit einem Nicken seinen Whisky entgegen. »Aber ich lebe in Denver.«
    »Denver. Echt? Wow! Was haben Sie denn gegen London?«, nuschle ich im betrunkenen Versuch, witzig zu sein. Ich beschließe, mein Kinn lieber auf die Hand zu stützen.
    »Nichts – ich mag London. Aber ich habe drüben eine Firma.«
    »Gott, ich liebe London«, lalle ich. »Ich l-l-liebe es.«
    Da rutscht mir das Kinn von der Hand. Er lächelt und deutet auf mein leeres Glas. »Darf ich Sie zu einem zweiten Drink einladen?«
    »Hm …«, brumme ich, reiße mich zusammen und schaffe es tatsächlich, sein Gesicht deutlich zu sehen.
    Zuerst habe ich das Gefühl, dass ich ihn schon kenne. Dann wird mir klar, dass ich ihn noch nicht kenne. Aber dass es mir vorherbestimmt war, eines Tages sein Gesicht zu sehen. Dieses Gesicht mit dem vertrauten Zusammenspiel von Haut, Farbe und Knochen war schon immer zu mir unterwegs gewesen. Und die Gewissheit, dass es so ist, nimmt einen Augenblick lang die Trauer um Mum von meiner Seele.
    »Tut mir leid, Callie«, sagt Rob. »Das Taxi wird erst in vierzig Minuten da sein.«
    Ich nicke, tue verärgert. Dabei wünsche ich mir nur, dass der Schmerz noch länger wegbleibt.
    Erst als ich am nächsten Morgen im Obergeschoss von Jack’s neben dem Mann aufwache, bemerke ich an seiner Hand, die auf dem Kissen liegt, den Ehering.
    Seine Hand zeigt zu seinem Mund, der sich im Schlaf geöffnet hat. Den trägen Schwung seiner Oberlippe habe ich bereits lieben gelernt, als ich mit meinen eigenen Lippen hungrig daran saugte. Und als mir bewusst wird, dass dieser goldene Ring meinen Wunsch, es wieder zu tun, keineswegs auslöscht, kann ich über mich nur den Kopf schütteln.
    Ich gehe lieber, bevor er aufwacht. Bevor ich seinen Familiennamen oder seine Handynummer erfahre. Denn so kann ich diesem Mann nie auf die Spur kommen, auch wenn ich es noch so sehr möchte – falls mich noch einmal dieser verrückte Wunsch überfallen sollte, ihn zu küssen.
    Ich schleiche hinaus, ohne die Spur zu bemerken, die er in mir hinterlassen hat.
     
    Rae bewegt den Kopf und dreht sich auf die andere Seite. Da stehe ich auf und krieche, ohne mich auszuziehen, in mein eigenes Bett; ich schaffe es nicht, mich für die Nacht fertig zu machen, wie es sich gehört.
    Ich liege im Bett und starre an die Decke, eine ganze Weile. Schon seit zweieinhalb Jahren betrachte ich die viktorianische Stuckrosette und freue mich an ihrer Schönheit. Ich starre das verschlungene Gitter der Gipsornamente an und überspringe in Gedanken die vier Jahre nach der schicksalhaften Nacht im Jack’s.
    Ein Regentag in der Wardour Street. Ich haste die Straße entlang, die hinter dem Schleier meiner Tränen verschwimmt. Vergeblich habe ich im Coach & Horses nach Sophie gesucht, ihr Handy ist kaputt. Und wer taucht plötzlich vor mir auf, mitten auf der Straße? Guy.
    »Du lieber Himmel, was ist denn mit dir los?«
    »Tom will, dass ich ausziehe«, flüstere ich, als er mich in ein Café schiebt, wo die Scheiben vor Feuchtigkeit beschlagen und zwei Mädchen mit hochtoupierten Haaren und rotem Lippenstift Tee trinken. »Er hat mir eine Woche gegeben, um eine Wohnung zu finden.«
    »Ach herrje«, murmelt er; er kann sich einen Blick auf die Uhr nicht ganz verkneifen und ist in Gedanken schon halb im Studio. »Liegt wohl in der Luft. Hast du gehört, dass Claire und ich uns getrennt haben?«
    Ich nicke zum Zeichen des Bedauerns. Tom hat mir alles von Ankya erzählt, der langbeinigen polnischen Fotografin.
    Er zieht sein Handy heraus. »Hör mal, bei mir gegenüber in Ally Pally ist eine billige Wohnung zu vermieten – sie ist ein bisschen runtergekommen, aber für ein paar Monate tut sie’s schon.«
    Ich nicke mit Tränen in den Augen, während er seine Nachbarn anruft, um die Nummer des Vermieters zu erfragen.
    »Da haben wir’s.« Guy grinst, notiert die Nummer für mich und steht auf. Er hat seine Pflicht getan. »Schade. Ich habe mein Haus gerade an einen Typen verkauft, der mit mir in die Schule gegangen ist. Sonst wären wir Nachbarn geworden!«
    Zwei Monate später traf mich fast der Schlag, als ich in meine neue Wohnung in der Churchill Road zurückkehrte – ich war in Suzys Haus auf einen nackten Jez gestoßen, und endlich ging mir ein Licht auf.
    Der Abend, als wir meinen Sound-Design-Preis in

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