Allein die Angst
Gegenteil von kaputt bist.«
»Hast du nicht.«
»Doch. Ich habe dich geheiratet, weil … weil ich gesehen habe, wie hart du mit diesen Kindern arbeitest, die von so vielen aufgegeben werden. Und wie dir deine Schwester zusetzt und du ihr trotzdem immer wieder verzeihst. Und wie du deine Bücher liebst, obwohl es so viele sind, dass ich überhaupt keinen Platz mehr für meine Cricketpokale habe.«
Sie kam nicht dagegen an: Ein Lächeln zupfte an ihren Lippen.
»Dafür bewundere ich dich, Schatz. Wie viel du über Bücher weißt und was für eine Leidenschaft du für sie hast. Und es ärgert mich, dass du mein Angebot nicht annimmst, ein Jahr lang mit dem Unterrichten auszusetzen und den Master in englischer Literatur zu machen, weil ich weiß, dass du dir das immer gewünscht hast. Und bei Kreuzworträtseln bist du auch nicht schlecht. Vielleicht nicht ganz so gut wie ich, aber …«
Zu ihrer eigenen Überraschung musste sie über seinen unerwarteten Scherz prusten.
»Debs. Mach dir keine Sorgen, Schatz. Alles wird gut.«
»Ja, Allen? Ich bin nur so müde«, seufzte sie.
»Das weiß ich.«
»Nein, Allen. Du weißt es nicht. Ich bin es wahnsinnig müde, mich von Leuten schikanieren zu lassen, die sich nicht die geringste Mühe geben, ein kleines bisschen freundlich zu sein. Gegen die will ich mich zur Wehr setzen, egal, was es mich kostet. Und ich möchte, dass es zwischen uns wieder so wird, wie es einmal war. Erinnerst du dich? Wir haben beide so lange gebraucht, um einander zu finden, und dann … dann hat dieses Mädchen … mit welchem Recht …«
»Ja, Schatz.«
»Gut. Allen, jetzt ist es für mich sehr wichtig, dass du mir wirklich glaubst. Nur so schaffen wir es. Du musst mir glauben. Und ich bitte dich nur dieses eine Mal darum. Machst du dich jetzt bitte auf den Weg zu Ally Pally, um mir zu helfen?«
Er schwieg kurz. Dann fragte er: »Willst du das wirklich?«
»Ja. Wirklich. Und ich glaube, Allen, das könnte unsere Rettung sein.«
»Okay.«
»Danke, Allen. Tut mir leid, wenn das deinem Match in die Quere kommt.«
»Ach, Schatz – ich nehm’s sportlich.«
Beide lächelten stumm. Debs legte auf und musste an sich halten, um nicht zu jubeln. Sie hatte es tatsächlich geschafft.
Und jetzt musste sie diese Frau finden.
Debs stieg die Steintreppe hinunter, die ins Parkgelände führte. Sie zwang sich, ihre Angst hinter sich zu lassen, als sie die Straße überquerte und in den Wald verschwand, der in den wilden Teil des Parks überging. Und wenn sie in ihrem Leben sonst nichts mehr auf die Reihe brächte – sie würde das kleine Mädchen finden und dafür sorgen, dass ihm nichts passierte. Selbst wenn Allen sie anschließend in die Psychiatrie einweisen müsste.
Kapitel 47 Suzy
Der Regen platschte auf die Windschutzscheibe wie die Wasserbomben, die Henry im Garten warf. Hunderte winziger Wasserbömbchen. Solchen Regen gab es in Colorado nicht. Dort rauschte er in riesigen, elementaren Sturzwellen daher, die die Ebenen tränkten und als nasse, schwere Vorhänge zwischen den Bergen hingen. Er prasselte gnadenlos herunter, eine Parade, die mit Tropfengetrommel voranrückte und den Boden schrubbte. Von Zeit zu Zeit strömten die feuchten Luftmassen zu den Wolken hoch und verwirbelten zu einem gewalttätigen schwarzen Tornado, den man meilenweit sehen konnte. Nein, der Regen zu Hause war wild und lebendig, nicht dieser höfliche britische Regen. Der ließ sich mit einem kleinen Plastikschirm abwehren.
Das Heimweh nach Colorado überfiel Suzy nun regelmäßig in langen, wehenartigen Krämpfen. London hätte ein neuer Anfang sein sollen. Ein Ort, wo sie endlich ein normaler Mensch sein konnte, mit einer normalen Familie und normalen Freunden, weit weg von den Lügnern, Betrügern, Ausnutzern und Dämonen zu Hause. Aber es stellte sich heraus, dass es die Lügner und Betrüger auch hier gab. In Colorado konnte sie wenigstens in die Wildnis hinausfahren und so lange laufen, bis sie betäubt war vor Erschöpfung, bis in der weiten Stille der Ebene sich endlich Frieden auf sie herabsenkte. In London konnte sie nirgendwohin fliehen, konnte kaum atmen in dieser giftigen Luft.
Suzy ließ den Motor ihres VW -Käfers an. Endlich hatte sie freie Bahn. Der Regen hatte die Jogger und Spaziergänger samt ihren Hunden vertrieben, so dass sie endlich allein war. Langsam bog sie von der Hauptzufahrt in die kleinere Straße ein, die hinter hohen Baumreihen verborgen durch die Parklandschaft führte.
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