Allein die Angst
er.
»Ich mag diese Brille nicht. Ich möchte deine Augen sehen. Da fühle ich mich so geborgen.«
Er nickte.
»Gut.« Sie richtete sich wieder auf und fragte ihn: »Kannst du dort unten weitersuchen? Ich war noch nicht im Naturschutzgebiet – das fängt da drüben an, am Rand des Cricketplatzes. Hast du was dagegen, wenn ich das Auto jetzt nehme? Es täte mir gut, wenn ich mich kurz aufwärmen könnte. Ich fahre zur anderen Seite des Palasts hinüber, Richtung Gartenzentrum.«
»Klar, nimm das Auto nur, Schatz«, sagte er mit leicht verwirrtem Blick, stieg aus und stand in seinem grünen Anorak im Regen. »Was machst du, wenn du sie findest?«
Debs stieg ebenfalls aus und wechselte zur Fahrerseite hinüber. »Ich weiß noch nicht. Vielleicht beobachte ich Suzy nur, bis sie Rae sicher zu Hause abliefert. Und dann werde ich unsere Nachbarin Beattie bitten, mit Callie zu reden.«
»Gut, Schatz. Aber pass auf dich auf.«
»Danke, Allen«, fiepte sie und fasste ihn am Arm; vor Rührung versagte ihr fast die Stimme. Regentropfen liefen ihnen über die Brillen. So standen sie da und sahen sich durch die beschlagenen Brillengläser an.
»Was sind wir doch für ein Paar«, schmunzelte er.
Und zu ihrer Überraschung beugte er sich vor und drückte ihr einen regennassen Kuss auf den Mund.
»In zehn Minuten bin ich zurück und hol dich ab«, piepste sie; das Blut schoss ihr in die Wangen. »Wenn du sie inzwischen findest, ruf mich an.« Sie stieg ins Auto, schob für ihre längeren Beine den Sitz zurück und fuhr los. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen.
Debs erreichte die Stelle, wo der Fahrweg in die breitere Zufahrtsstraße mündete. Sie bog nach rechts in die Straße ein und fuhr ein Stück, da nahm sie plötzlich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr, weiter unten auf dem Fahrweg, von dem sie gerade gekommen war.
Sie fuhr scharf an den Rand und hielt Ausschau. Unten im Wald, hinter Bäumen, leuchtete etwas Gelbes auf, bewegte sich.
Das waren sie! Wo wollten die denn hin?
Debs sah sich hektisch um. Wenden konnte sie hier nicht, dazu war die Straße zu schmal. Zum Nachdenken hatte sie keine Zeit; sie stellte den Motor ab, sprang aus dem Auto und rannte zurück, auf die Bäume zu.
Da! Etwas Gelbes. Gelbes Blech.
»Oh!«, stieß Debs aus und setzte dem gelben Ding nach.
Sie bog zwischen den Bäumen auf einen kleinen Pfad ab, eine Abkürzung, die steil zu dem Sträßchen hinunterführte und ihr gegenüber dem Auto einen Vorsprung verschaffen würde.
Blindlings lief sie abwärts, ohne zu wissen, was sie tun würde, wenn sie dort ankam.
Sie brach durch stachlige, nasse Zweige und sprang die Böschung zu dem Sträßchen hinunter.
Ein Geräusch hinter ihr ließ sie herumwirbeln.
Suzys Auto stand etwas weiter oben; Suzy hatte sich umgedreht und redete mit Rae, die hinter ihr saß.
Dann drehte sie sich wieder nach vorn und schaute auf den Weg. Und entdeckte Debs.
Durch die regenüberströmte Windschutzscheibe begegneten sich die Blicke der beiden Frauen.
Kapitel 50 Callie
»Hallo! Sie sind doch die Mutter, oder?«
Ich fahre zusammen, die Stimme kommt aus dem Nichts. Ohne etwas zu sehen, renne ich den Abhang zur Straße hinunter und versuche unterdessen zu rekonstruieren, welchen Weg sie gefahren sein könnten. Wenn Suzy den Palast verlassen hat und nicht nach Hause gekommen ist, wo könnte sie dann sein? Wenn ich die Straße entlanglaufe, die sie mit dem Auto gefahren sein muss, sehe ich, ob sie am Ende einen Unfall oder eine Panne hatte. Ich lausche angestrengt, ob ich eine Sirene hören kann.
Unten bleibe ich stehen und erblicke auf der anderen Straßenseite den merkwürdigen kleinen Mann von gegenüber. Er winkt mir zu.
»Haben Sie ein Kind verloren?«
»Ja!«, schreie ich. »Haben Sie es gesehen?«
»Kommen Sie rüber«, bedeutet er mir durch den Regen.
Ich sause über die Straße, um ein Haar hätte mich ein Auto erwischt. Aus der Nähe sieht der Mann aus wie ein nasser Maulwurf, mit einer langen Nase und freundlichen, traurigen Augen.
»Wissen Sie, wo sie ist?« Fast muss ich schreien, um das Geprassel des Regens zu übertönen.
»Leider nein, aber meine Frau ist ziemlich sicher, dass sie mit Ihrer Nachbarin hier unten in diesem Parkabschnitt ist«, sagt er und deutet auf die dunklen, nassen Bäume. »Sie sucht gerade nach ihr. Wir könnten doch zusammen gehen?«
Ich starre ihn entsetzt an.
»Was reden Sie denn da? Warum zum Teufel sucht Ihre Frau nach meinem Kind?«, schreie ich.
Weitere Kostenlose Bücher