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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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»Was fällt Ihnen überhaupt ein?«
    Bevor er antworten kann, dringt ein hoher, schriller Schrei aus dem Wald: »Neeeeeiiiiin!«

Kapitel 51 Debs
    Was machte die Amerikanerin denn da? Sie hatte den Motor angelassen und ließ ihn im Leerlauf aufheulen. Dabei starrte sie wie ein Ungeheuer durch die Windschutzscheibe, das Gesicht zu einem starren Grinsen verzerrt, die Augen weit und zornig aufgerissen.
    Abrupt drückte sie auf einen Knopf und beobachtete Debs, während die Seitenscheibe aufging.
    »Ich muss mit Ihnen reden«, rief Debs nervös. »Könnten Sie bitte den Motor ausmachen?«
    Aber die Amerikanerin starrte sie nur immerzu an und jagte den Motor hoch. Ihre türkisfarbenen Augen leuchteten gefährlich aus den grauen Schatten, den die Bäume über sie warfen. Entsetzt beobachtete Debs, wie Suzy wieder aufs Gas trat und den Motor noch lauter aufheulen ließ. Sie drehte am Steuer, bis die Räder in Debs’ Richtung zeigten. Debs sah das kleine Mädchen auf dem Rücksitz. Es weinte und zerrte heftig an der Autotür.
    »Bitte!«, rief Debs, »können Sie bitte den Motor abstellen, Suzy? Oder könnten Sie wenigstens Rae aussteigen lassen, bitte? Sie hat Angst.«
    Aber bevor Debs weiterreden konnte, trat Suzy voll aufs Gas und schoss die zehn Meter auf sie zu; die Räder, die anfangs durchdrehten, wühlten den aufgeweichten Boden auf, Kies und Blätter spritzten hoch.
    »Neeeeeiiiiin!«, schrie Debs und sprang zur Seite.
    Der Wagen verfehlte sie knapp und krachte in die Parkbank, mit einem Riesenknall wie bei einer Explosion. Die Motorhaube flog hoch, mit einem Ruck blies sich ein Airbag auf.
    Einen Moment war alles still; Dampf entwich zischend in die Luft.
    Debs stand da und blinzelte.
    Suzy hob langsam den Kopf. Blut tropfte ihr aus der Nase. Wieder sah sie Debs an, immer noch mit diesem Glanz in den Augen.

Kapitel 52 Callie
    »Da!«, schreit Allen und deutet auf eine weiße Rauchwolke, die aus den Bäumen hochsteigt.
    Ich renne los, durch das hohe, nasse Gras. So schnell, dass jedes Stolpern mich noch schneller dem nächsten Hindernis entgegenwirft, hetze ich durch den Wald, mit Armen und Beinen in alle Richtungen rudernd, fast waagrecht gegen den Wind gelehnt.
    »Rae!«, kreische ich.
    Wir erreichen den Pfad, blicken verzweifelt nach links und nach rechts.
    »Callie – Hilfe!«, höre ich Suzy rufen. »Bitte hilf uns!«
    »Da lang«, ruft Allen und nimmt mich am Arm, über nasse Erde stolpern wir zu dem Sträßchen hinunter.
    Hilflos bleibe ich stehen.
    Suzys Käfer ist gegen eine alte Parkbank gekracht, das gelbe Blech der Motorhaube aufgerissen und wild zerknautscht. Debs steht davor, streckt die Hände aus und schüttelt den Kopf.
    »Rufen Sie den Rettungswagen!«, schreie ich Allen an. Ich laufe zur hinteren Tür. »Rae? Rae?«
    »Callie, hilf uns. Sie hat versucht, uns umzubringen«, schluchzt Suzy auf dem Vordersitz, den Kopf in den Airbag gepresst. »Aaaah. Ich glaube, mein Arm ist gebrochen. Sie ist schreiend auf uns zugerannt, und da bin ich gegen die Bank gekracht. Wie geht’s Rae? Bitte, Cal. Schau zuerst nach ihr.«
    Ich blicke hoch, Debs kommt zögernd auf das Auto zu.
    »Sie!«, kreische ich. »Machen Sie, dass Sie wegkommen, und lassen Sie meine Tochter in Ruhe!« Ich zerre wie eine Wahnsinnige an der Tür und versuche, durch das dunkle Glas zu spähen.
    »Die Tür ist zugesperrt, Suzy«, rufe ich.
    »Okay, Honey«, murmelt sie und tastet mit der Hand nach dem Hebel. Das Schloss springt auf.
    Die Tür knackt, als ich sie aufreiße. Voller Angst zwänge ich den Kopf hinein.
    Dann erlebe ich diesen Moment. Diesen wundervollen, friedlichen Moment, als ich sehe, dass Rae nicht da ist. Dass die Kindersitze leer sind, die schwarze Rückbank unbesetzt, die Sitzgurte hängen ordentlich, wo sie hingehören. Nicht heute, denke ich. Ausnahmsweise sind wir heute mal nicht dran. Ich nicht, meine Tochter nicht, meine Familie nicht.
    Erst als ich den Kopf erleichtert zwischen die Vordersitze stecke, um Suzy zu sagen, dass Rae nicht da ist, sehe ich Silber blitzen.
    Ein zerknittertes Silberkleidchen im Fußraum.
    Da geben meine Knochen nach. Blut rauscht in einer Flutwelle durch meine Adern. Alle Systeme schalten ab.

Kapitel 53 Debs
    »Allen, ich war’s nicht, ganz bestimmt …«, stotterte sie im Regen, als der Notarztwagen davonfuhr.
    Er umschloss ihr nasses Gesicht mit den Händen und strich ihr übers Haar.
    »Ich glaube dir, Schatz. Ich glaube dir.«
    Und dann zog er sie ganz eng an sich, in seine

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