Allein die Angst
früh gebrummt. Sie hatte die Kinder allein übernommen. Wieder einmal.
Sie verspürte einen übermächtigen, kaum auszuhaltenden Drang, zu ihm hineinzuplatzen und zu fragen, was er mit Henrys Schule gemeint habe. Doch sie wusste instinktiv, dass er sich dann nur noch mehr einkapseln würde.
Nein. Sie musste geduldig sein. Musste warten, bis seine Stimmung wieder umschwenkte. Am frühen Nachmittag hatte sie vom Einkaufszentrum aus Vondra angerufen, und die hatte ihr versprochen, so bald wie möglich diesen Michael Roachley aufzuspüren. Inzwischen konnte Suzy noch einiges andere an Munition verschießen.
Mit einem langen Seufzer warf sie die kalten Auflaufreste in den Mülleimer, spülte den Lappen aus, ging ins vordere Wohnzimmer hinüber und schloss die Tür.
Sie vergewisserte sich, dass Jez immer noch nicht die Treppe herunterkam, und trat zu dem weißen Sofa. Vorsichtig zog sie es ein Stück von der Wand, damit das neu abgeschliffene Parkett nicht verkratzt wurde. Der obere Rand einer dunkelgrünen Plastiktüte sah hervor. Suzy beugte sich vor und zog daran. Die erfreulich schwere Tüte kam zum Vorschein.
»Okay«, murmelte Suzy, setzte sich auf das Sofa und öffnete die Tüte. Wieder lauschte sie an der Tür, ob alles still blieb, dann kippte sie den Inhalt der Tüte auf den Boden. Verschiedene Tuben und Töpfchen von Edelmarken-Make-up fielen heraus, an den meisten klebte noch das Preisschildchen. Eine Grundierung für 53 Pfund rollte seitlich davon. Suzy stoppte sie mit dem Fuß, neben einer Feuchtigkeitscreme für 77 Pfund.
Sie nahm von den glänzenden Röhrchen und schimmernden Töpfchen, so viel sie tragen konnte, stand auf und ging zu dem Spiegel über dem Kamin hinüber. Dort streifte sie sich das neue pinkfarbene Haarband über den Kopf und straffte damit ihre Haare aus dem Gesicht. Dann wischte sie sich die Haut mit einem Reinigungs-Pad aus einer neuen Packung ab. Mit den frisch manikürten Fingerspitzen massierte sie sich die reichhaltige Feuchtigkeitscreme ein. Jetzt zum Make-up. Oh, sie wusste, wie man sich schminkt, das würde sie nie vergessen. Marianne, eine Kollegin aus Denver, hatte es ihr beigebracht. Dann hatte sie Jez kennengelernt, der ihr sagte, sie bräuchte kein Make-up. Nun, vielleicht brauchte sie es jetzt wieder.
Sorgfältig verteilte sie die Grundierung, die ihre hellen Sommersprossen zum Verschwinden brachte. Ein Bild von Sasha mit ihrem verschleierten Blick und ihrem blassen Schmollmund kam ihr in den Sinn. Sie nahm einen hellbraunen Augenbrauenstift und strichelte ihre blassen Brauen nach, verstärkte den Druck an den Enden, um den Bogen klar zu konturieren. Mit breiten Pinselstrichen schattierte sie die Augenpartie mit dunkelblauem und silbern schimmerndem Puder. Dann griff sie noch einmal in die Tüte und holte eine kleine Plastikdose heraus. Darin lagen zwei spinnenbeinige Wimpernbögen. Mit erfahrener Hand strich sie den Kleber darauf und drückte die Wimpern auf die Oberlider, pinselte mit ruhiger Hand einen blauen Lidstrich darüber und trug ein paar Schichten Wimperntusche auf. Dann trat sie einen Schritt zurück und begutachtete die Wirkung.
Sogar sie selbst stutzte angesichts der Verwandlung. Ihre türkisfarbenen Augen glühten sexy hinter dicken Wimpern. Sie stäubte rosenfarbenes Rouge über die Wangen und überzog die Lippen mit farblosem Gloss.
Dann richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf, bog die Schultern zurück, reckte den Hals und deutete einen Schmollmund an. Spontan kam ihr die Idee, die obersten Knöpfe ihrer karierten Bluse aufzuknöpfen; sie schlüpfte aus den Ärmeln und ließ die Bluse zu den Hüften hinunterrutschen, dass ein rosenfarbenes Seidenhemdchen zum Vorschein kam, das sie ebenfalls heute Vormittag gekauft und schon im Bad anprobiert hatte.
Wenn es das war, was er haben wollte, dann sollte er es haben. Von ihr.
»Suze?«
Sein Ruf kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
»Mist«, flüsterte sie. Hektisch versuchte sie, die Tuben und Fläschchen vom Kaminsims zurück in die grüne Tüte zu schaufeln. Es würde Jez nicht gerade für sie erwärmen, wenn er entdeckte, wie viel der heutige Ausflug ins Einkaufszentrum gekostet hatte. Sie hatte nicht vorgehabt, so viel zu kaufen. Aber ohne Callie hatte sich der Tag so leer und öd in die Länge gezogen.
Als sie die Sachen in die Tüte schob, fiel das offene Töpfchen mit dem silbernen Lidschatten auf den weißen Teppich und stäubte ihn mit Glitzerpuder ein. Sie kniete sich hin und
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