Allein die Angst
hat mir neulich erzählt, dass sie …« Sie deutet mit der Hand an, dass die Lehrerin wohl gern einen kippt. »Findest du nicht, dass sie manchmal ganz schön verkatert aussieht?«
Aber bevor ich antworten kann, legt Rae los.
»Mummy hat eine neue Freundin in der Arbeit. Sie sieht aus wie Alice im Wunderland. Und findet, dass Mummy gute Witze macht.«
Sie wiederholt ihre drollig-ungläubige Grimasse vor Henry, der in lautes Gelächter ausbricht.
O je. Die arme Suzy. Das wird ihr einen Stich versetzen.
»Sie ist nicht meine Freundin«, murmle ich Suzy so leise zu, dass Rae es nicht hören kann. »Sie arbeitet bloß im Studio.«
Aber Suzy hat anscheinend weder das eine noch das andere gehört. Sie konzentriert sich auf Henrys offenen Schulranzen, den sie beim Gehen zu schließen versucht.
Ich beobachte sie und denke an Megans Vorschlag.
Soll ich Suzy bitten? Bin ich da nicht falsch zu ihr?
Ich krame vernünftige Argumente hervor: Wenn ich anfange, Freundschaften außerhalb der Churchill Road zu schließen, könnte das Suzy auf lange Sicht auch guttun. Sie merkt es freilich noch nicht, aber sie muss sich von mir genauso befreien wie ich mich von ihr. Wenn ich mir meine Freiheit nehme, gebe ich ihr auf Umwegen die ihre zurück.
»Suze …«, beginne ich, als wir die Hauptstraße erreichen.
»Hmmm?«
»Am Donnerstagabend gibt es im Studio einen kleinen Umtrunk. Ich habe wirklich ein schlechtes Gewissen, dass ich dich frage, aber wäre es möglich, dass du ein paar Stunden auf Rae aufpasst? Es wäre erst später, wenn die Jungs schon im Bett sind.«
»Gern, wenn Jez da ist.«
»Wirklich?«
»Aber klar doch.«
»Danke.« Ich hake mich bei ihr ein. »Wenn ich wieder Vollzeit arbeite, werde ich mir eine Tagesmutter suchen, dann brauche ich dich nicht mehr dauernd zu belästigen.«
Sie starrt mich an.
»Also wirklich, Callie! Du brauchst doch keine Tagesmutter! Ich helfe immer gern. Bei Fremden weiß man doch nie, ob man ihnen seine Kinder wirklich anvertrauen kann. Wenn wir schon dabei sind – warum biegst du nicht zum Bahnhof ab? Dann nehme ich Rae mit in die Schule.«
»Wirklich?«
»Klar. Und wenn du magst, rede ich auch mit Ms. Aldon und erkundige mich, was mit Rae los ist. Wenigstens kann ich mein Bestes versuchen.«
»Oh, tausend Dank«, murmle ich erleichtert. Ich weiß, dass ich eigentlich selbst mit Ms. Aldon reden sollte, aber Rae wirkt heute viel munterer, und wenn Suzy sie in die Schule bringt, wären das zwanzig geschenkte Minuten, um mich länger auf die Besprechung mit Parker vorzubereiten.
Ich winke, als Suzy Rae fest an der einen und Henry an der anderen Hand nimmt und mit ihnen die Hauptstraße überquert.
Rae sieht sich noch einmal nach mir um. Lautlos forme ich mit den Lippen die Worte: »Bis später, bei Hannah!« Beinahe hätte ich sie Rae zugerufen, aber im letzten Moment warnte mich mein Instinkt, dass Henry noch nichts von ihrer Verabredung weiß.
Bis ich bei Rocket eintreffe, brummt mein Kopf nur so vor Ideen für Parkers Soundtrack.
Er kommt für eine Stunde vorbei, um sie mit mir durchzusprechen, und verabschiedet sich dann für heute. Auf der Suche nach Inspiration google ich »norwegische Seen«, um mehr über die dortige Tierwelt zu erfahren, dann durchsuche ich unser riesiges Tonarchiv. Ich vertiefe mich in Überlegungen, welches spezielle Geräusch eine Plötze macht, wenn sie eine winzige Wasserschnecke ins Maul saugt. Dass es darüber Mittag geworden ist, merke ich erst, als Megan hereinkommt und anbietet, mir ein Sandwich zu holen.
»Na, klappt es am Donnerstag?«, fragt sie. Von ihrem Leoparden-Top weht mich ein wunderbares Parfüm an.
»Ich glaube schon.« Ich lächle. »Wenn es immer noch gilt.«
»Aber klar doch! Das wird super. Also was Vegetarisches?«
Ich gebe ihr Geld. Einerseits ist es mir peinlich, dass sie mir etwas zu essen besorgt, andererseits finde ich es toll, dass ich eine der vielen untergeordneten Aufgaben, die so lange meine Tage ausgefüllt haben, an jemand anderen abgeben kann, der dafür bezahlt wird und sie gern erledigt, damit ich währenddessen weiterarbeiten kann.
Ich bin so intensiv damit beschäftigt, nach Geräuschen für den Hüttenbau zu forschen, dass ich richtig zusammenzucke, als mein Handy klingelt.
Ich erkenne die Nummer nicht. Wer kann das sein?
»Callie, hier ist Caroline, Hannahs Mutter«, bohrt sich eine Stimme in mein Ohr.
Ich brauche einen Moment, um sie einzuordnen.
»Ach ja, Caroline – hi!«,
Weitere Kostenlose Bücher