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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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nach ihm. Ein Geruch nach billigem Deo wie in der Männerumkleide einer Muckibude. Tom hat immer nach Seife und warmer Haut gerochen.
    »Wie sieht’s aus – kann ich duschen, oder ist das Wasser abgedreht?«, frage ich. »Tut mir leid, wenn ich Umstände mache, aber ich war die ganze Nacht in der Klinik.«
    »Klar können Sie. Das Wasser läuft wieder. Wissen Sie, was, ich setz mich eine halbe Stunde ins Café und lasse Sie in Ruhe.«
    Ich nicke dankbar.
    »Übrigens – wie geht’s Ihrem Töchterchen?«, fragt er. »Ihre Freundin hat gesagt, dass sie einen Unfall hatte?«
    Seine Frage überrascht mich. Suzy muss ihm etwas erzählt haben. »Sie wurde zum Glück nicht angefahren«, beginne ich, breche dann aber ab, weil ich keine Lust auf weitere Erklärungen habe. »Es ist alles in Ordnung, danke. Sie ist jetzt nur noch zur Beobachtung in der Klinik und kann heute Abend nach Hause.«
    »Ich hab selber ne Kleine in dem Alter«, sagt er. »Da muss man aufpassen wie ein Schießhund, was?«
    Ja, denke ich leicht gereizt, muss man. Tu ich auch dauernd. Und wer passt gerade auf dein Kind auf?
    Er greift nach seiner Jacke, geht hinaus und schreit dabei in sein Handy: »Vor fünf schaff ich’s nicht, Mann.« Ich mache die Tür zu. Endlich allein.
    Die Dusche tut gut. Der herrlich heiße Brausestrahl spült mir den Klinikgeruch von der Haut. Ich stehe eine Weile da und lasse das Wasser auf mich herunterpladdern, dass meine Haare sich vollsaugen und mir in schweren Strähnen auf die Schultern und über die Augen fallen.
    Das Schlimme ist nur, dass ich genau weiß, was in ein paar Minuten auf mich zukommt.
    Aber im Moment stehe ich einfach da und tue, als ob nichts wäre. Als ob die Welt noch in Ordnung wäre.
    Das Handy hat den ganzen Vormittag in meiner Tasche vibriert, ab zehn Uhr. Ich weiß genau, wer das war. Nicht Dad – den habe ich heute früh selbst angerufen, als ich schon wusste, dass es Rae gutgeht und er deshalb nicht darauf bestehen würde, herzukommen. Tom war es auch nicht.
    Da kommt nur noch einer in Frage.
    Ich wickle mich in das einzige saubere Handtuch ein, das ich finden kann, und gehe zum Schlafzimmer hinüber, wo ich mich aufs Bett setze und mir die nassen Haare bürste. Meine Arbeitsklamotten von gestern liegen unbeachtet in der Ecke, ein weiches, graues Häufchen, dem die Strahlkraft der Silberpailletten abhandengekommen ist. Ich ziehe aus dem Korb mit der Bügelwäsche eine saubere Jeans und ein T-Shirt heraus und stehe mit einem tiefen Seufzer wieder auf.
    Das Handy liegt auf der Kommode und gibt immer wieder einen Piepton von sich. Ich klappe es auf und drücke auf »Mailbox abhören«.
    »Hi, Callie«, dröhnt Guys Stimme. »Du lieber Gott, tut mir leid, was passiert ist. Hoffe, es geht ihr gut. Ruf an und sag Bescheid.«
    Es folgt eine Pause. Ich wusste im Voraus, dass diese Pause folgen würde.
    »Hm, hör mal. Ich glaube, du kannst es dir schon denken. Leider kann Loll den Flug nach New York nicht verschieben, deshalb müssen wir Gas geben. Ich werde inzwischen wohl Jerome damit beauftragen, weil wir so unter Druck stehen. Wir sind natürlich echt enttäuscht – Loll fand deine Ideen toll. Aber … na ja … Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst, und ruf an, wenn es bei dir wieder läuft. Dann reden wir weiter …«
    »Nein«, murmle ich. Das darf doch nicht wahr sein. Er hat meinen Auftrag an Jerome weitergegeben. An Jerome, den kinderlosen Mittzwanziger. Der nie zu seinem kranken Kind nach Hause rennen oder in den Sommerferien freinehmen muss.
    Was habe ich erwartet? Schluss, aus, vorbei.
    Vor Enttäuschung fällt mir der Unterkiefer herunter.
    Dann bricht ein Schrei aus mir hervor. »Aaaaaah!« Ein langer, wütender Schrei, der alles in mir zum Erzittern bringt und sich zum Brüllen steigert.
    »Scheiße!«, schreie ich. Der ganze Aufwand. Und ich war so nah dran.
    Es klingelt, das gibt mir einen Ruck. Ich hole tief Luft und gehe zur Tür.
    Der Klempner steht draußen und sieht mich neugierig an.
    »Alles in Ordnung?«
    Ich nicke. »Sie haben die Wohnung wieder für sich«, sage ich und nehme meine Handtasche.
    »Gut. Können Sie mir bitte die genaue Anschrift für die Rechnung geben?«
    Die Rechnung? Ich versuche, mich zu konzentrieren. »Hm, also eigentlich – könnten Sie die Rechnung an den Vater meiner Tochter schicken?«, frage ich und nehme ihm den Stift aus der Hand.
    »Gute Idee«, sagt er. »Lassen Sie ihn nicht so einfach ausbüxen, ohne seine Pflicht und

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