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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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die doch echt an zu klettern!«, schrie das Mädchen und bog sich vor Lachen.
    Zu ihrer eigenen Überraschung kletterte Debs tatsächlich den Baum hinauf. Ihr schlimmes Knie tat nicht mehr weh, genauso wenig ihr verspannter Hals. Mühelos zog sie sich immer höher hinauf, Hände und Füße arbeiteten geschickt zusammen. Das ist das Adrenalin, dachte sie. Es muss am Adrenalin liegen. Die Teenager versammelten sich am Fuß des Baums, hüpften herum wie Paviane, lachten hysterisch, schwenkten höhnisch das Messer.
    »Dann dauert das Spielchen eben länger«, rief einer zu ihr hoch.
    Vielleicht, dachte sie. Aber hier oben konnten sie sie wenigstens nicht kriegen, ohne selbst einen Sturz zu riskieren. Hier oben hätte sie noch ein paar Sekunden länger.
    Da hörte sie wieder dieses Geräusch. Dieses hohe, schneidende Sirren eines Geländebikes.
    O nein! Kamen jetzt noch mehr von der Gang? Hilflos blickte Debs hinunter.
    Das Mädchen machte eine große schwarze Tasche auf und zog ein Ding heraus.
    Und dieses Ding machte das hohe Geräusch, das einem durch Mark und Bein ging.
    »Nein!«, schrie Debs. »Bitte nicht!«
    Ich will leben, dachte sie, als sie die Kettensäge sah. Ich will leben.
     
    Da klappten ihre Lider auf. Ihr Blick fiel ins Schlafzimmer, das aber vor ihren Augen verschwamm, so dass sie nichts erkennen konnte.
    »Ahhh!«, stöhnte sie. Sie schwitzte am ganzen Körper, ihr Kopf fühlte sich an wie in einer Schraubzwinge.
    Ein Albtraum. Es war nur ein Albtraum gewesen.
    Warum hörte sie dann immer noch dieses schneidende Sirren?
    »Ach du meine Güte«, ächzte sie. Sie hatte von Schlafstörungen gehört, bei denen die Leute weiterträumten, wenn sie wach waren – hatte sie jetzt so was? Anscheinend wurde man davon so meschugge, dass man nicht mehr schlafen konnte.
    Sie versuchte vergeblich, sich aufzusetzen, ihre Beine fühlten sich an wie gelähmt.
    Wenn sie nun nie mehr richtig aufwachen würde? Wenn sie nun immer in diesem Wachterror gefangen bliebe?
    Sie zwang sich, die Augen ganz zu öffnen und ihren Blick, der alles verwischt sah, scharfzustellen. Allmählich konnte sie ihre Umgebung wieder erkennen. Sie tastete auf dem Nachtkästchen nach ihrer Brille. Ihr Gesicht schmerzte, wenn sie den Kopf von einer Seite zur anderen drehte, als schwappe darin eine Flüssigkeit und drücke auf ihre Nerven.
    »Aua«, stöhnte sie, nahm ihren ganzen Willen zusammen und setzte sich auf.
    Jetzt sah sie das ganze Schlafzimmer, in rosiges Licht getaucht. Sie sah den Stuhl mit ihren Kleidern, die zusammengelegt über der Lehne hingen. Die Uhr – es war schon zwanzig vor zehn. Die Flasche mit ihren Schlaftabletten. Gestern Abend hatte sie zwei genommen, damit alle schwarzen Kisten geschlossen blieben, damit sie sich nicht die ganze Nacht hin und her wälzte, damit Allen ruhig schlafen konnte.
    Sie schüttelte den Kopf. So ging das nicht. Der Arzt musste ihr unbedingt ein anderes Medikament verschreiben. Mit einer ungeheuren Anstrengung, bei der ihre Handgelenke zitterten, schlug sie die Bettdecke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Am Stuhl zog sie sich zum Stehen hoch. Sie schwankte wie betrunken.
    Debs brauchte eine Weile, bis sie bemerkte, dass sie das hohe, jaulende Sirren immer noch hören konnte. Sie bildete es sich nicht nur ein. Es war wirklich vorhanden, kam von der Wand, die sie mit der Amerikanerin teilte.
    Debs hielt sich erst am Bett, dann am Schrank fest, tappte vorsichtig durchs Zimmer und ging neben der Wand langsam in die Knie. Durch den Druck schmerzte ihr schlimmes Knie so sehr, dass sie sich krümmte. Sie lehnte den heißen Kopf an die Wand und lauschte.
    Nun hörte sie das Sirren hinter den Ziegeln doppelt so laut. Was war das? Eine Dusche? Eine elektrische Wasserpumpe?
    Nein.
    Nein, sie wusste, was das war.
    Das war ein Staubsauger.
    Ah. Vor Erleichterung ließ sie sich vorwärtssinken, bis ihr Kopf den Boden berührte. Sie war in Sicherheit. Es war nur ein Staubsauger. Sie hatte nur schlecht geträumt. Sie war in Sicherheit, in ihrem eigenen Haus, dem Haus, das sie mit Allen teilte. Hier könnten die Poplars nicht eindringen.
    Die alte Uhr von Allens Mutter tickte in der Ecke vor sich hin. Bei dem hypnotisierenden Ticktack schlief Debs am Boden fast wieder ein. Sie musste diese Uhr wegschaffen. Sie konnte Allens Mutter, wenn es sein musste, sonst überall in der Wohnung aushalten, aber nicht im Schlafzimmer. Ihre Beziehung mit Allen würde nie heilen, wenn zu allem anderen auch noch diese

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