Allein die Angst
gelungen. Getrieben von einer ähnlichen Kraft wie ein Meteorit, der gleich auf der Erde einschlagen wird, raffte sie den Morgenmantel zusammen, riss die Haustür auf und rannte aus ihrem Gartentor zu Suzy hinüber.
Sie marschierte zur Haustür und hämmerte mit drei heftigen, aggressiven Schlägen darauf ein.
Suzy öffnete und spähte auf Debs herunter.
»Hören Sie sofort auf!«, schrie Debs. »Ich weiß, dass Sie das sind! Ich weiß, dass Sie mich schikanieren. Lassen Sie mich in Ruhe!«
Da kam hinter Suzy eine junge Frau mit dunklem Haarknoten die Treppe herunter, einen Staubsauger in der Hand.
»Ich bin jetzt fertig mit den Bodenleisten, Mrs. Howard – was soll ich als Nächstes putzen?«
Debs schwankte. In ihrem Kopf begann sich alles zu drehen.
Suzy machte einen langen Schritt auf sie zu. Ihre klaren, aquamarinblauen Augen sahen aus, als wären sie aus Eis. Sie beugte sich vor, packte Debs am Morgenmantel und zog sie so dicht zu sich heran, dass Debs den Kaffeegeruch in ihrem Atem riechen konnte.
»Jetzt hören Sie mal zu. Ihr Benehmen ist mehr als sonderbar. Ich weiß nicht, was mit Ihnen los ist, aber ich warne Sie. Kommen Sie mir noch einmal in die Nähe, dann rufe ich die Polizei. Dasselbe gilt für Callie. Wenn Sie sich noch einmal bei ihrer Wohnung blicken lassen, rufen wir beide im Revier an. Wir wissen Bescheid über Sie – Sie verstehen doch? Wir werden umgehend die Schule informieren. Und jetzt verschwinden Sie augenblicklich von meinem Grund und Boden!«
Damit knallte sie Debs die Tür vor der Nase zu.
Eigenartig, dachte Debs.
Benommen trat sie durch ihr Gartentor.
Die Drohung der Frau beruhigte sie geradezu, warum auch immer.
Zum ersten Mal seit Monaten fühlte sie sich wirklich ruhig. Wie damals, wenn Mum sie anschrie und ohrfeigte, wenn sie ungezogen gewesen war. Damals wusste sie, woran sie war. Kannte die Grenzen, kannte die Regeln. Mums Regeln hatten ihr immer ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Wenn sie auf die Tischplatte malte, schrie Mum sie an und sperrte sie ins Bad. Wenn sie abends nicht einschlief, schrie Mum sie an und schlug ihr auf die Beine. Wenn sie mit Alison über eine Puppe stritt, sperrte Mum sie beide stundenlang in den Regen hinaus und sagte, seht zu, dass ihr klarkommt. So einfach war das. Alle kannten ihren Platz.
Nein, es war seltsam tröstlich, zusammengestaucht zu werden. Zu wissen, welche Regeln galten.
Die Frau hatte gesagt, sie benähme sich sonderbar. Da war was Wahres dran.
Ihr Kopf war wirklich in einer schlimmen Verfassung, Kisten sprangen auf und ihr Inhalt flog überall herum, außerdem hatte sie Aussetzer, und dann dieser Schwindel. Sie war wirklich nicht mehr ganz zurechnungsfähig.
Hm.
Sie griff zum Telefon und wählte.
»Alison?«
»Was ist?«, fragte ihre Schwester schroff. »Ich habe in zwei Minuten eine Personalschulung. Mach’s kurz.«
»Alison«, sagte Debs, »ich glaube, mit mir stimmt was nicht.«
Schweigen.
»Möglicherweise benehme ich mich manchmal etwas sonderbar. Ich weiß nicht, was ich dagegen machen soll, weil ich selbst mein Benehmen nicht sonderbar finde, andere aber schon. Und ich glaube, Allen hält das nicht viel länger aus. Was soll ich bloß machen?«
Diesmal dauerte das Schweigen sogar noch länger.
»Gehst du nicht mehr zu diesem Therapeuten?«, fragte Alison in einem Ton, der keine Zweifel daran ließ, was sie von dem ganzen Psychokram hielt.
Debs schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir auf die Dauer nicht leisten, das kostet fünfzig Pfund die Woche. Ich habe ja auch auf dich gehofft. Die Sache ist die …« Ihr brach die Stimme weg, sie konnte nur noch leise und weinerlich fiepen: »Ich habe sonst niemanden, mit dem ich reden kann. Und ich möchte wahnsinnig gern mit jemandem offen darüber sprechen können, wie es mir geht, ohne dass ich dafür bezahlen muss …«
Debs’ Worte hingen schwer zwischen ihnen.
»Ich muss jetzt los. Ich rufe dich nach der Schulung zurück«, sagte Alison. »Aber es kann später werden, weil der Vorstand sich bei mir Ideen für den neuen Lehrgang holen will.«
»Danke.« Debs zog ein Taschentuch aus dem Morgenmantel, um das Schluchzen zu unterdrücken, das in ihr aufsteigen wollte. »Und weißt du, Alison, was ich dir schon immer sagen wollte? Du machst das toll. Nach allem, was ich so heraushöre, bist du wirklich super in deinem Job.«
»Hm«, sagte Alison unsicher. Misstrauisch. »Na ja.«
»Ich glaube … ich glaube, Mum wäre stolz auf dich gewesen«,
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