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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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Frau hier hereindrängte.
    Debs kämpfte gegen die Müdigkeit in ihren Knochen, stand langsam auf und zog ihren Morgenmantel an. Ihr knurrte der Magen. Sie hatte Hunger. Etwas zu essen und eine Tasse Tee wären jetzt gut.
    Als sie sich vorsichtig die Treppe hinunterhangelte, tanzte ein leichter Schwindel um Augen und Nase. Bis zur Diele hielt sie sich am Geländer fest, bis zur Küche stützte sie sich mit einer Hand an der Wand ab.
    Auf dem Tisch stand ein Schälchen mit einem Löffel für sie bereit, daneben eine Teetasse mit einem Zettel, auf den Allen in seiner großen, klaren Handschrift geschrieben hatte:
    »Konnte heute früh Mums Teekanne nicht finden. Weißt du, wo die ist?«
     
    Schließlich schaffte sie es, Porridge zu kochen, doch als sie sich mit dem Schälchen hinsetzte, setzte das sirrende Geräusch wieder ein – diesmal durch die Esszimmerwand.
    Debs seufzte. Schon wieder der Staubsauger. Jetzt wurde unten gesaugt. Sie begann diese Wände zu hassen. Vor hundert Jahren, als es noch keine lauten Elektrogeräte gab und Kinder sich noch keine Tobsuchtsanfälle erlauben durften, mochten diese Wände genügt haben. Aber jetzt hätte sie genauso gut in einem Pappkarton wohnen können, so ungedämmt drang der Krach der Familie nebenan zu ihr durch. Besonders machte ihr diese Frau zu schaffen. Diese Frau, die sie belauerte, belauschte und belog.
    Debs trank ihren Tee in kleinen Schlückchen und versuchte den Lärm zu ignorieren. Er wollte nicht aufhören, es sirrte und sirrte gnadenlos. Es hörte sich an, als würde die Wand gesaugt, als schöbe jemand den Staubsauger die Bodenleisten entlang, immer wieder vor und zurück.
    Debs stöhnte. Ihre Nerven waren dem heute nicht gewachsen. Sie brauchte Ruhe und Frieden.
    Sie goss sich noch eine Tasse Tee ein, tappte zurück nach oben ins Schlafzimmer und stieg wieder ins Bett. Sie stopfte sich Allens Kissen in den Rücken und zog die Decke über den Schoß. Ihr Morgenmantel schmiegte sich weich und gemütlich um ihre Schultern. Der Morgenmantel, den Allen ihr geschenkt hatte.
    Sie fand es immer noch ungewohnt, dass ein anderer Mensch sich dafür interessierte, ob ihr warm genug war oder ob sie gut geschlafen hatte. Bevor sie Allen begegnet war, hatte sie einmal eine Sendung über eine Sechzehnjährige gesehen, die im Kinderheim aufgewachsen und mit einem Blinddarmdurchbruch ins Krankenhaus eingeliefert worden war. »Das Schlimmste für mich ist«, sagte das Mädchen, »dass alle, die mich in der Klinik besuchen, dafür bezahlt werden.«
    Debs hatte in ihrer Wohnung an der Weir Road gesessen, wo die Lastwagen vorbeidonnerten, und ihre Teetasse umklammert. Die Tränen liefen ihr nur so übers Gesicht. Sie hatte genau gewusst, wovon das Mädchen redete.
    Sie lehnte sich in die Kissen zurück, setzte die Teetasse an die Lippen und …
    SIRRRR !
    Wie aus dem Nichts setzte der Heulton wieder ein. Der Staubsauger. Wer immer da saugte, war in den Raum nebenan zurückgekehrt. Debs schrak so zusammen, dass sie Tee auf ihren Morgenmantel verschüttete.
    Was zum Teufel ging da drüben vor?
    Sie saß einen Moment da, zog ein Taschentuch aus der Schublade ihres Nachtkästchens und tupfte den Morgenmantel ab. Der Lärm ging weiter. Und wie unten wanderte er hin und her. Eine Minute lang, die sich ewig hinzog. Und noch eine. Und noch eine.
    Da hielt Debs den Atem an. »Großer Gott!« Sie bildete es sich nicht nur ein.
    Diese Frau nebenan schikanierte sie
wirklich
. Wie diese Leute, die von dem Vorfall in der Zeitung gelesen hatten und Hundekot durch ihren Briefschlitz warfen, dass sie das stinkende, ekelhafte Geschmier vom Boden wischen musste.
    So schnell sie konnte, krabbelte sie aus dem Bett und hämmerte gegen die Wand. Der Lärm ging weiter. »Aufhören!«, kreischte sie. Keine Reaktion. Sie humpelte die Treppe hinunter zum Telefon und wählte.
    »Allen!«, rief sie. »Die Frau nebenan. Sie saugt das ganze Haus. Sie belauscht mich, in welchem Zimmer ich bin, und dann fährt sie mit dem Staubsauger ewig an der Wand hin und her, um mich zu schikanieren!«
    Langes Schweigen.
    »Ich bin in einer Besprechung«, sagte er dann.
    Diesen Ton hatte sie noch nicht an ihm gehört. Matt und müde.
    »Warum glaubt mir denn keiner!«, schrie sie und knallte den Hörer hin. Sie wusste, dass diese Frau Telefonterror bei ihr machte, auch wenn gestern Abend die Gaswerke angerufen hatten. Und jetzt riss ihr der Geduldsfaden.
    Selbst wenn sie sich hätte bremsen wollen, wäre es ihr nicht

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