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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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hier aus wie in dem Park unterhalb von Alexandra Palace, wo sie gestern herumgelaufen war; ein schmaler Weg wand sich durch hohen Farn und Brennnesseln. So nahe an der Stadt und doch so verlassen und friedlich.
    Sie folgte dem Weg und versuchte sich einzuprägen, wohin sie ging.
    Plötzlich hörte sie hinter sich ein Geräusch. Einen lauten Aufschrei. Die Stimme eines Mädchens; der Schrei klang nicht nach Schmerzen, sondern eher nach Lachen. Debs drehte sich rasch um und betrachtete forschend die Eichen und Ahornbäume, aus denen sie gerade herausgetreten war, aber da war nichts außer Rinde und Dunkel und grünen Laubvorhängen.
    Dann, mitten in die Stille des Parks hinein, das Aufheulen einer Maschine.
    Mit einem Ruck fuhr Debs herum. Was war das? Es klang nach einem Auto. Aber dieser Weg war doch sicher für Autos gesperrt?
    Debs drehte sich langsam im Kreis und spähte durch die Bäume, die die Lichtung umringten, um die Lärmquelle ausfindig zu machen. Der Lärm schien aus allen Richtungen zu kommen, schien durch den Wald zu wandern. Die vibrierenden Stoßwellen kamen ihr irgendwie bekannt vor.
    Genau. Ein Motorrad. Das klang eher nach einem Motorrad.
    Als Debs sich zum zweiten Mal um die eigene Achse gedreht hatte, schossen aus den Bäumen zwei Geländebikes hervor und hielten über die Wiese auf sie zu; sie federten und hüpften über den holprigen Weg. Auf ihnen saßen zwei junge Männer ohne Helm; einer hatte auf dem Rücksitz ein Mädchen dabei, mit straff nach hinten gebundenem Pferdeschwanz und einem breiten Grinsen im Gesicht.
    Debs sog scharf die Luft ein und blickte sich um. Die Lichtung war leer, kein Jogger, kein Spaziergänger mit Hund in Sicht.
    »He, Alte, kannste mir mal sagen, wie spät es ist?«, schrie ihr einer der Jungs entgegen, und die anderen brachen in johlendes Gelächter aus.
    »Du lieber Himmel«, stammelte Debs und trat schleunigst zur Seite; sie wusste, dass die Teenager nicht hier waren, um nach der Uhrzeit zu fragen. Wie gut kannte sie ihr schrilles Indianergeheul! Sie hatte es an jenem Tag gehört, als sie in die Klasse hineinging und von allen Kindern nur den Rücken sah – sie hatten sich von ihr weggedreht und beugten sich über einen Laptop. Debs war lange genug Lehrerin gewesen, um zu wissen, was ein solches Geheul in der Regel zu bedeuteten hatte: Da war ein Scherz zu weit getrieben worden. Da hatten die Einzelnen ihre Verantwortung abgeschüttelt und mitten in den Raum auf einen Haufen geworfen. Da konnte alles Mögliche passieren.
    Sie ging rasch weiter und hoffte, dass etwas geschah. Dass hinter einem Baum ein Spaziergänger hervortrat und sie in Sicherheit wäre. Das Maschinengedröhn hinter ihr war verstummt. Lieber Gott, bitte, dachte sie kurz. Waren sie weg? Sie warf einen flüchtigen Blick hinter sich und sah, dass die Teenager ihre Bikes auf den Boden geworfen hatten und grinsend auf sie zusprangen.
    O nein. Sie waren nicht weg. Sie waren hier, um sie zu erlegen wie ein Stück Jagdwild. Debs rannte blindlings los, weg vom Weg in den Wald hinein.
    »He, Alte, wir wollen doch nur wissen, wie spät es ist«, schrie ihr das Mädchen hinterher, und alle lachten. Sie hörte ihre schweren Schritte näherkommen, hörte sie auf Steine springen, hörte Zweige knacken.
    Keuchend mühte sich Debs durch die Bäume, durch Zweige, die immer dichter zu werden schienen und ihr den Weg versperrten. Entsetzt blickte sie hinter sich und sah im dämmrigen Licht etwas Silbernes blinken.
    O Gott. Der Typ hatte ein Messer.
    Eine furchtbare, schwere Lähmung schien ihre Beine zu befallen. Debs kämpfte dagegen an, rannte immer weiter, brach gewaltsam durchs Unterholz, Zweige und Dornen schlugen ihr ins Gesicht und zerkratzten ihre Hände.
    Plötzlich prallte sie gegen einen Drahtzaun. Sie saß in der Falle.
    Es hatte keinen Zweck. Alles hatte sich gegen sie verschworen.
    Langsam drehte sie sich um und blickte in die höhnischen Gesichter der anrückenden Teenager. Einen Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken, sich zu ergeben. Aber dann verselbständigte sich ihr Körper, getrieben vom gleichen Instinkt, den sie schon bei gefangenen Katzen oder Füchsen beobachtet hatte: Mit aller Macht schlugen sie um sich, um sich zu befreien. Ihr Körper ließ keine Kapitulation zu. In ihrer Verzweiflung hob sie den Fuß auf den untersten Ast einer alten Eiche und reckte den Arm zum nächsten Ast, um sich hochzuziehen.
    Die Teenager glotzten entgeistert.
    »Schaut euch die alte Fotze an! Fängt

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