Allein die Angst
sagte Debs, ein merkwürdiger Satz, der sich in ihrem Mund anfühlte wie scharfes Essen.
»Hm«, machte Alison nur.
Beide wussten, dass das nicht stimmte. Aber immerhin.
Alison rief eine Stunde später zurück und widmete Debs volle zwanzig Minuten.
»Du behauptest also, dass der Poplar-Sohn dich wegen seiner Schwester schikaniert und irgendwie deine Nachbarin zu sich ins Boot geholt hat?«
Debs versuchte, Alisons höhnischen Ton zu ignorieren. Dagegen hatte sie sich noch nie wehren können.
»Sie könnte die Berichte in der Zeitung gelesen haben, Alison. Erinnerst du dich an die erste Woche danach, als die Leute mich auf der Straße fertiggemacht haben?« Debs schluckte ihren Schluchzer schon hinunter, als er noch ganz unten in der Kehle war. Sie hatte bereits vor langer Zeit gelernt, dass Tränen bei Alison nicht wirkten.
»Ja. Aber es kommt mir absolut unwahrscheinlich vor. Das juckt doch heute niemanden mehr. Du bist mit den Nerven so runter, dass du dir Dinge einbildest. Aber mit dem Jungen könntest du recht haben, deshalb solltest du Folgendes unternehmen …«
Als Debs zehn Minuten später auflegte, hielt sie einen Zettel mit Anweisungen in der Hand. Donnerwetter, wer hätte geahnt, dass Alison so glasklar und systematisch denken konnte? Kein Wunder, dass sie in der Welt der Lohnbuchhaltung so gefragt war.
Die Worte ihrer Schwester hallten noch in Debs nach: Sie müsse jetzt eine Liste mit allem machen, was sie quälte, und für jeden Punkt eine rationale Erklärung oder eine Lösung finden.
So sollten ihre nächsten Schritte aussehen:
Sie musste bei ihrer Telefongesellschaft anrufen und die Aufzeichnung der Nummern aller Anrufer beantragen. So ließ sich feststellen, wer hinter den Anrufen steckte.
Wenn es nicht die Nachbarin war, sollte sie mit einem Blumenstrauß hinübergehen und sich entschuldigen. Sollte erklären, dass sie unter Stress litt, und alles tun, um das Verhältnis zu verbessern. »Du wohnst vielleicht noch Jahre neben ihr.« Ihrer Verantwortung in dieser ernsten Lage bewusst, erhob Alison die Stimme: »Du musst das jetzt unbedingt klären.«
Falls es sich bei den Anrufern jedoch um Anhänger der Poplar-Familie handelte, musste Debs bei der Polizei offiziell Anzeige wegen Belästigung erstatten.
Sie musste zu ihrem Hausarzt gehen, ihm erklären, unter welchen Symptomen sie litt, und ihn bitten, ihr andere Schlaftabletten und etwas gegen ihre Nervosität zu verschreiben, damit sie auf normale Geräusche im nachbarlichen Zusammenleben – und auf Flugzeuglärm – nicht unangemessen reagierte.
Sie musste ehrlich zu Allen sein und ihm in aller Ruhe erklären, wie sie sich wirklich fühlte.
Sie musste genau nachdenken, was am Mittwochabend mit dem kleinen Mädchen auf der Straße passiert war, und dann zu der Mutter des Mädchens und zu Ms. Buck gehen und in aller Ruhe mit ihnen reden.
Nach diesem Gespräch spürte Debs eine neue Leichtigkeit in ihren Schritten. Ja, Alisons Ratschläge leuchteten ihr alle ein. Sie rief sofort die Telefongesellschaft an, und man versicherte ihr, sie würde informiert.
Sie wusste genau, was sie als Nächstes tun würde.
Sie öffnete die Kellertür und ging nach unten bis zu den Wohnzimmerdielen, unter die sie die Plastiktüte mit der Teekanne gezwängt hatte. Sie zog an einem Zipfel, und die schwere Tüte fiel herunter. Heute Abend würde sie es Allen sagen. Und wenn sie schon dabei war, würde sie ihm auch erklären, wie wichtig ihr das neue Haus war, ihr erstes gemeinsames Zuhause als Paar, und wie sehr die Besitztümer seiner Mutter sie belasteten.
Und jetzt würde sie sich eine Tasse Tee aufbrühen und gründlich überlegen, was an jenem Abend auf dem Rückweg vom Hort passiert war.
Als sie den Wasserkocher einschaltete, rief sie sich das Bild des Horts ins Gedächtnis zurück.
Mit dreißig Kindern war er voll besetzt gewesen, bis auf den letzten Platz, und sie schien sich zu erinnern, dass die Kinder müder und überreizter als sonst waren, weil es in den Unterrichtspausen geregnet hatte und sie den ganzen Tag drinnen bleiben mussten. Auch der Spielplatz des Horts war nass, so dass sich die Kinder zwei weitere Stunden drinnen beschäftigen mussten. Deshalb war es noch etwas hektischer zugegangen als sonst. Sie und Anne hatten dreißig Portionen Pasta gekocht, dann einen Maltisch, einen Basteltisch und einen Hausaufgabentisch aufgestellt. Sie achteten darauf, dass sich die Jungs beim Kickern abwechselten, und legten für alle, die
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