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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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sollen. Ich suche nach einer rationalen Erklärung für ihr Verhalten: Sie ist wegen Jez’ Plänen völlig durch den Wind und kann nicht mehr vernünftig denken. Es wird sehr schwierig sein, Rae beizubringen, dass sie nicht hingehen kann.
    »Na, wie wär’s, wenn du nur zu der Party gehst, aber nicht auf die Eisbahn?« Suzy richtet den Blick stur auf Rae, nicht auf mich. »Du könntest dich warm anziehen, mit deiner Mummy auf der Tribüne sitzen und beim Eislaufen zusehen, und anschließend gehst du auf die Party, Geburtstagskuchen essen. Hannahs Mummy hat gesagt, dass Hannah sich schon riesig freut, weil du vielleicht kommst.«
    Wie bitte? Ich fühle mich völlig überrollt.
    »Schauen wir mal, wie es dir morgen geht«, murmle ich.
    »Eigentlich könnte ich gleich dort bleiben, wenn ich Henry hinbringe«, fährt Suzy fröhlich fort, »und mich um dich kümmern, dann kann sich deine Mummy ein bisschen erholen. Nach der Nacht in der Klinik muss sie sehr müde sein.«
    In meiner Küche spielt sich etwas ab, was mir entgleitet, und es sieht ganz so aus, als käme ich nicht dagegen an. Aber ich kann Rae nicht auf die Eisbahn lassen. Dazu ist es zu früh. Tom würde mich umbringen.
    »Äh …«, beginne ich lahm, in einem inneren Zwiespalt gefangen, weil ich Suzy nicht noch mehr zusetzen will.
    »Gut, dann ist das abgemacht. Jetzt muss ich wieder rüber. Ich komme morgen und hole Rae ab. Tschüsi, ihr beiden.« Suzy legt mir die Hand auf die Schulter.
    Lächelnd zwinkert sie mir zu, dann geht sie und lässt mich mit einer sehr vergnügten Rae zurück.
     
    Mittags kriege ich in der Wohnung dann einen solchen Rappel, dass ich Rae bitte, sich warm anzuziehen, und mit ihr zum Lebensmittelladen ein paar Ecken weiter laufe, um Milch und Brot zu holen, ein Gang von zehn Minuten durch eine Seitenstraße.
    Die Straße ist ruhig. Mir ist, als verhöhnten mich die leeren Gehwege: »Alle anderen Leute arbeiten, nehmen am Leben teil.« Die Haustüren sind verschlossen, die Mülltonnendeckel zugeklappt, die Vorhänge halb zugezogen. Katzen laufen zielstrebig über die Straße, ihr Tag scheint mit mehr Sinn erfüllt als meiner.
    Erst bemerke ich die drei Gerüstbauer nicht. Ich höre nur das Klappern von Stahlstangen und ein Hin und Her kumpelhafter Zurufe, die verstummen, als wir vorbeigehen. Ich ziehe den Kopf zwischen die Schultern, hefte den Blick auf einen herumliegenden roten Gummiring und einen alten Kaugummi, der auf den schmutzigen, gesprungenen Steinplatten klebt. Aber ich weiß, was jetzt kommt. Am Rand meines Gesichtsfelds erfasse ich das Grinsen der Kerle, als einer von ihnen eine obszöne Handbewegung macht und blöd dazu wiehert.
    Wie kann ich mich wehren? Was erreiche ich schon, wenn ich mich umdrehe und frage, ob sie nicht bemerkt haben, dass ich ein Kind dabei habe? Ich bin völlig machtlos. Ein Nichts. Ziellos, richtungslos, nutzlos. Für jeden miesen Typen eine leichte Beute.
    »Jetzt komm schon«, sage ich und ziehe Rae sanft weiter. Ihre Finger protestieren. Das tun sie, seit wir hinausgegangen sind und ich Rae an der Hand gefasst habe. Sie macht die Finger steif und weigert sich, sie in meine Hand zu schmiegen und meinen Druck zu erwidern. »Lass mich los. Ich bin kein Baby mehr«, will sie damit sagen, was mich nur dazu bringt, fester zuzudrücken, als es ihre zarten Knochen vertragen. Um mir zu zeigen, dass ich keineswegs gesiegt habe, schiebt Rae die Unterlippe vor und schleppt die Füße nach.
    »Lass das, Rae«, fordere ich sie auf. »Du weißt, warum.«
    Aber sie schmollt weiter bis zum Laden, im Gang mit dem Gemüse, den ganzen Weg zur Kasse. Sie hört erst damit auf, als ihr der Türke, dem der Laden gehört, einen Lutscher schenkt.
    »Hoşçakal!«
, radebrecht sie, wie er es ihr beigebracht hat, und winkt ihm zu.
    »Güle güle«
, erwidert er lachend und winkt ihr ebenfalls nach, als wir den Laden verlassen.
    Ich wende mich noch einmal um und lächle, als wäre ich dankbar und nicht verärgert, dass er Rae für ihr schlechtes Benehmen auch noch mit Süßem belohnt. Aber er hat den Blick bereits abgewandt; was ich denke, ist ihm egal.
    An solchen Tagen weiß ich, dass ich mich von Suzy noch nicht abnabeln kann, egal, wie schuldig ich an ihr geworden bin. Noch ist es nicht so weit. Denn manchmal lechze ich nach ihrer Freundlichkeit wie rissige Haut nach Salbe.
     
    Wir kommen mit Milch und den Zutaten für eine Gemüsesuppe zurück, die ich mittags kochen will.
    »Schau mal, Mummy, ein Brief!« Rae

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