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Allein die Angst

Allein die Angst

Titel: Allein die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Millar
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sah sie aus den Augenwinkeln, wie er zweimal zu ihr hinüberschielte.
    »Bitte sehr.« Sie stellte die beiden Teller auf den Tisch und ging den Wasserkrug holen.
    »Wie komme ich zu der Ehre?«, brummte er.
    Achselzuckend setzte sie sich ihm gegenüber und beobachtete ihn, als er sich wieder der Zeitung zuwandte und nebenbei eine Gabel Nudeln zum Mund führte. Suzy ließ ihr Besteck unberührt neben dem Teller liegen.
    »Was ist?«, fragte er und blickte von seiner Zeitung hoch.
    Sie zuckte mit den Schultern.
    Dann sagte sie: »Ich habe mir gedacht, wie schön es für uns wäre, wenn wir noch ein Mädchen bekämen.« Sie sprach jedes Wort langsam und bestimmt aus, damit die Botschaft deutlich bei ihm ankam.
    Jez, der gerade die zweite Gabelvoll zum Mund hob, hielt kurz inne. Dann ließ er die Nudeln im Mund verschwinden und aß weiter. Seine Augen wanderten zu der Zeitung zurück.
    »Und?«, bohrte Suzy nach und versuchte, seinen Blick wieder auf sich zu ziehen.
    »Was ›und‹?«
    »Was meinst du dazu, Jez? Dass wir noch ein kleines Mädchen bekommen? Würde dir das nicht gefallen?«
    Er spießte zwei, drei, fünf Nudeln auf die Gabel und stopfte sie in den Mund. Noch während er kaute, spießte er weitere fünf Nudeln auf, brach Schneisen durch den Penne-Berg.
    »Ich staune, dass du fragst«, sagte er leise, als er fertig gekaut hatte. Selbst wenn Jez leise sprach, grollte seine Stimme wie Donner durch den Raum. »Die ersten beiden Male hast du nicht gefragt.«
    Die Worte hingen schwer zwischen ihnen, während er eine weitere Riesengabel Nudeln in den Mund stopfte, den Blick auf die Reste auf seinem Teller gerichtet. Endlich war die Anklage ausgesprochen. Suzys Betrugsmanöver ans Licht gezerrt.
    »Das waren Unfälle …« Sie sprach bemüht ruhig. »So was passiert. Sogar ziemlich oft. Anscheinend war auch Rae ein solcher Unfall, hat Callie gesagt.«
    Er legte die Gabel ab und sah ihr scharf in die Augen.
    »Ich will keine Kinder mehr, Suzy. Und ich will nicht mehr über dieses Thema reden. Vielleicht würdest auch du es dir zweimal überlegen, wenn du das Geld selbst verdienen müsstest, statt es immer nur auszugeben, bei deinen täglichen Streifzügen durch Brent Cross – die Kinder brauchen übrigens keine weiteren Schuhe mehr.«
    »Na, vielleicht würde das Geld durchaus reichen, wenn du nicht vorhättest, alle deine Kinder in dein blödes Internat zu schicken.«
    »Wie bitte?«
    »Du hast mich sehr genau verstanden.«
    Sie stand auf, richtete sich langsam zu ihrer vollen Höhe auf.
    »Jez – wenn du versuchst, mir meine Jungs wegzunehmen, wirst du sehen, was passiert.«
    Ihre Blicke bohrten sich ineinander. Jetzt lagen die Karten offen auf dem Tisch.
    »Ich glaube, du hast vergessen, wer ich bin, Jez«, fuhr sie fort. »Das Mädchen draußen im See, das keine Angst kennt.«
    Er senkte den Blick wieder auf die Zeitung. »Und ich glaube, du hast vergessen, dass wir hier in England sind, Suzy.«
    »Ich brauche jetzt frische Luft«, sagte sie. »Mir ist der Appetit vergangen. Aber die Sache ist noch längst nicht vom Tisch.«
     
    Mit langen, entschlossenen Schritten ging sie die steilen Straßen hoch, die sich kurvenreich zum Alexandra Palace hinaufwanden. Sie waren von stattlichen viktorianischen Reihenhäusern wie Suzys eigenen gesäumt; falls es dazwischen einmal Lücken gegeben hatte, waren sie mit Anbauten, Garagen und hohen Toren gestopft worden. Durch die Fenster sah Suzy Plasmabildschirme, moderne Kunst, Ledersofas: Wohlstandsattribute der britischen Mittelschicht. Alle Türen waren in anderen Farben lackiert, von kirschrot bis eisblau; bei den Hausnummern reichten die Spielarten von traditionellem Messing bis hin zu kühner Typographie in modernem Schiefer. Blumenkästen quollen über von dunkelpinkfarbenen Geranien, japanischem Schmuckfarn und Prachtlobelien.
    Alle Häuser waren individuell, aber die Besitzer vom selben Schlag, dachte sie. Diese Leute hatten ihre Familien verlassen und waren bei der Jagd nach Geld und Lebensinhalten in die Stadt gekommen; um ihre Ziele zu erreichen, waren sie bereit, dicht an dicht zu leben, auf unerträglich engem Raum. Schmetterlinge kamen ihr in den Sinn, an ein Brett gepinnt.
    Suzy starrte zornig durch die Fensterscheiben. Welche Schraube ist bei denen eigentlich locker, dachte sie. So behandelt man seine Familie doch nicht. Man lässt doch nicht einfach seine Mutter, seinen Vater, die Großeltern, Neffen und Nichten im Stich. Das ist doch das eigen Fleisch

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