Allein die Angst
hebt einen weißen Umschlag von der Fußmatte auf. »C-A-L-L-I-E«.
Sie grinst, als ich bewundernd über ihre Lesekünste lächle, und stolziert davon, um sich Henrys DVD ein zweites Mal anzusehen, während ich in der Küche die Möhren und Zwiebeln auspacke.
Von wem kann die Nachricht sein? Die klare Handschrift mit den runden Bögen ist mir fremd, sie sieht aus wie für ein Kind geschrieben.
Ich mache den Umschlag auf und nehme den Briefbogen heraus, auf dem sich die mustergültige Handschrift fortsetzt.
»Liebe Callie,
ich weiß, dass Sie wahrscheinlich sehr wütend auf mich sind, trotzdem muss ich mich noch einmal bei Ihnen entschuldigen, falls ich zu Raes Unfall vorgestern Abend irgendwie beigetragen haben sollte …«
Ich suche unten nach dem Namen: Debs. Was zum Teufel will die jetzt noch von mir?
»Aber ich muss wirklich meine Unschuld beteuern. Ich bin überzeugt, dass Ihre Freundin mir nicht gesagt hat, ich solle Ihre Tochter an der Hand halten. Und noch etwas.«
Fassungslos lese ich weiter, was sie da schreibt.
»Mir gibt eine Bemerkung zu denken, die Ihr Kind gemacht hat, als wir am Mittwoch die Schule verließen. Sie fragte: ›Wenn ich Mummy sehe, muss ich dann wieder Theater machen und so tun, als ob ich den Hort nicht leiden kann?‹
Ich war verwirrt, da Rae an diesem Nachmittag offensichtlich viel Spaß mit ihrer Freundin Hannah hatte. Ich fragte sie, wie sie denn auf die Idee käme. Sie antwortete: ›Weil Aunty Suzy es mir gesagt hat.‹«
»Meine Güte, ist die bescheuert«, knurre ich vor mich hin. »Natürlich hat Suzy zu Rae gesagt, sie soll
kein
Theater machen.«
»Ich will mich keineswegs der Verantwortung für den Unfall entziehen, den Ihre Tochter in meiner Obhut erlitten hat. Aber ich wollte Ihnen Obiges mitteilen, damit Sie sich vielleicht noch einmal vergewissern, ob bei Ihrer Freundin alles ist, wie es sein sollte.
Debs.«
Ist diese Frau von Sinnen?
Ich werfe einen flüchtigen Blick in das Gratiskäseblättchen auf dem Küchentisch. Mir springt ein Artikel über einen Mann ins Auge, der von seinem geisteskranken Nachbarn, nachdem er eigenmächtig seine Medikamente abgesetzt hatte, umgebracht worden ist. Wenn es sich mit Debs genauso verhält? Wenn sie gefährlich ist? Ich beiße mir auf die Lippe und wähle die Nummer des Polizeibeamten, die an der Pinnwand hängt.
Der Anrufbeantworter schaltet sich ein.
»Hi, schon wieder Callie Roberts«, blaffe ich verärgert. »Tut mir leid, aber diese Debs Ribell jagt mir langsam Angst ein. Sie hat mir gerade einen völlig absurden Brief vor die Tür gelegt, in dem sie meine Freundin Suzy der Lüge bezichtigt. Und gestern Abend – das hatte ich vergessen zu erwähnen – hat sie Suzy durch den Briefschlitz beschimpft, vor Suzys Kindern. Ich muss unbedingt wissen, was mit dieser Frau los ist. Sie wohnt direkt gegenüber und arbeitet an unserer Schule. Ich bitte dringend um Ihren Rückruf.«
Ich gehe zum Fenster und schaue hinaus. Debs steht vor ihrem Haus am Gartentor und späht mit wirrem Blick nach links und nach rechts. Dann bückt sie sich zu ihrer Recyclingkiste hinunter und linst hinein.
»Die hat doch einen Schuss weg«, flüstere ich und schlinge mir die Arme um die Rippen.
Kapitel 33 Suzy
Wieder hatte Jez den ganzen Vormittag oben gearbeitet, bei geschlossener Tür. Sie wusste, dass er gegen eins herunterkommen würde, um sich ein Sandwich zu machen, deshalb bereitete sie Penne mit Pilzen zu und deckte den Tisch, damit er keine andere Wahl hatte, als zum Essen unten zu bleiben.
Fast auf die Minute pünktlich hörte sie seine Schritte auf der Treppe.
»Hallo«, begrüßte sie ihn leise. Sie wandte ihm den Rücken zu, richtete den Salat in einer Schale an und füllte den Wasserkrug.
»Alles klar?«, erwiderte er. Sie spürte seine Blicke im Rücken, merkte, wie er zum gedeckten Tisch und zum Topf auf dem Herd sah und nachdachte, warum sie wohl gekocht hatte. Offenbar kam er zu dem Schluss, dass nachzufragen sich nicht lohnte. Er setzte sich an den Tisch, schlug die Zeitung auf, die sie von der Diele hereingebracht hatte, und blätterte darin herum.
Sie lächelte absichtlich nicht. Damit würde sie ihn aus der Fassung bringen. Um das Schweigen zwischen ihnen zu übertünchen, schwatzte sie normalerweise mit den Jungs oder fragte ihn, ob er Hemden zu bügeln hatte oder wie die Zugfahrt gewesen war. Aber heute würde sie ihn auflaufen lassen. Als sie die Pasta auf die Teller häufte,
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