Allein in der Wildnis
war ich auf dem Weg zu meinem Boot an diesem Haus vorbeigekommen, und seine Bewohner waren gute Freunde. Pitzis Vater — ein stämmiger schwarzbrauner Rüde — hatte mich oft bei meiner Arbeit auf dem See begleitet. Jetzt hatten die beiden Nachwuchs, und es war Zeit für mich, Guatemala zu verlassen.
»Llevese un perrito«, bot Don Carlos, der Besitzer des Hundes, großzügig an, »como un recuerdo de Guatemala.«
Ich überlegte. Wie konnte ich einen Welpen als Souvenir an Bord dreier verschiedener Flugzeuge und durch Zoll- und Paßkontrolle schmuggeln und gleichzeitig zwölf Gepäck- und wissenschaftliche Ausrüstungsstücke über eine Distanz von dreitausend Kilometern befördern?
»Si Dios quiere, tu puedes«, meinte achselzuckend der Besitzer. Wenn Gott will, dann geht es. Er muß es gewollt haben. Impulsiv pickte ich mir den einzigen Welpen mit einem weißen Kinnfleck heraus. Ihn in meinen indianischen Schultersack packend, dankte ich Don Carlos überschwenglich auf spanisch.
Mein erster Versuch als Schmuggler wäre fast gescheitert. Als wir in Miami am Migration -Schalter Schlange standen, wachte Pitzi auf. Er steckte sein Köpfchen aus dem Sack und begann an einer amerikanischen Fahne zu knabbern, die neben dem Eingang hing. Kaum hatte ich ihn in den Sack zurückgeschoben, lugte er schon wieder heraus. Mit Paß, Gesundheitskarte, Feldstecher, Kameras und Pitzi jonglierend, schaffte ich es, in dem Augenblick durch den Zoll zu kommen, da der Hund gerade im Sack blieb. So ging es weiter, rein und raus, die ganze Reise. Nur ein einziges Mal wurde er entdeckt: auf dem letzten Flug zum Staat New York. Er krabbelte aus dem Sack und hüpfte den Mittelgang entlang. Fast wäre er mit einer Stewardeß zusammengestoßen. Sie schnappte ihn sich und kam stirnrunzelnd zu mir.
»Hunde als Handgepäck sind gegen die Vorschriften«, begann sie mit strenger Stimme. »Er gehört in einen ordentlichen Käfig, und seine Passage muß bezahlt werden. Ich muß das dem Captain melden.«
Ich sah es schon vor mir: langwierige Verzögerungen mit der Fluggesellschaft und Auseinandersetzungen mit den Quarantänebeamten wegen der notwendigen Papiere und Impfungen. Ich stellte mir sogar vor, der Kleine würde verbrannt, zusammen mit anderem konfisziertem Schmuggelgut — ausländischem Obst, Samen, Blumen, Insekten und Tieren, die eine Bedrohung für Amerikas Wälder, Nutzpflanzen und Tierwelt darstellen könnten.
Da rettete Pitzi die Situation. Er gähnte herzhaft, so daß man seine kleine rosa Zunge über weißen Zahnperlen sehen konnte, streckte sich in den Armen der Stewardeß aus und begann an ihrem Daumen zu nuckeln. Gerührt krabbelte sie ihn am Bäuchlein und gab ihn mir zurück. Minuten später brachte sie eine Schale Milch, Stückchen von einem Huhn-Sandwich und ein winziges Eckchen einer Schlaftablette. Noch etwas benommen, aber wohlbehalten, kam Pitzi am Black Bear Lake an. Ich stopfte ihn in einen roten wollenen Kinderpullover, damit er nicht fror, und verfrachtete meine Konterbande zur Hütte.
Pitzi wuchs rasch aus dem Pullover heraus. Seine Pfoten gingen in die Breite wie Spateln; ihre Größe hätte mich warnen sollen. Mit neun Monaten war Pitzi größer als seine Mutter, mit zwölf größer als sein Vater. Mit achtzehn Monaten konnte er sich auf die Hinterbeine stellen, die Vorderpfoten auf meine Schultern legen und mir gerade ins Auge blicken. Wenn er neben mir im Auto saß, wandte man sich nach ihm um; auf der Straße wichen Passanten auf die andere Straßenseite aus. Von ferne sah Pitzi furchteinflößend aus, aber aus der Nähe leuchtete seine wahre Persönlichkeit aus den warmen braunen Augen. Pitzi war leutselig. Er pflegte sich an die Beine von Leuten zu lehnen, damit sie ihn hinter den Ohren kraulten, brachte sie aber durch sein Gewicht oft zu Fall. Sein rechtes Ohr, ein Schlappohr, blieb — außer wenn er Bären hetzte oder Eichhörnchen jagte — immer nach vorn geklappt, was ihm ein verwegenes Aussehen verlieh. Ganz erwachsen geworden ist Pitzi nie; er blieb in Teilen seines Wesens immer der verspielte Welpe.
Obwohl er gerne spielte, richtete ich ihn doch bald für bestimmte Arbeiten ab. Im Sommer wird meine Post mit dem Boot gebracht, mit einem der wenigen Postboote, die in den Adirondacks noch fahren. Dann läuft Pitzi jeweils zur Lände, meinen Sack mit ausgehender Post im Maul. Nach stürmischer Begrüßung des Postboten bekommt er meinen neuen Postsack ausgehändigt. Stolz wie ein Lipizzanerhengst
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