Allein in der Wildnis
schnupperte in die kiefernduftende Luft und wühlte kurz im feuchten Humus. Hier roch es nicht nach Truthähnen, Kranichen, Autoabgasen und muffigen Exkrementen. Dies war die natürliche Welt, in der er geboren war. Wieder vollzog sich ein schöner Wandel: Ich beobachtete, wie sein Silberpelz sich glättete und sich den sonnengesprenkelten Schatten unter den Fichten anpaßte. Seine Bewegungen wurden ruhiger, sicherer. Er scharrte sich eine kleine Kuhle zum Lagern. Nur seine beiden Bernsteinaugen blieben immer wach, fragend, vorsichtig.
Mapuche entdeckte Rothörnchen, neue Vögel, Schwarzbären, wilde Füchse, Biber, Backenhörnchen und Hirsche. Den ganzen Tag suchten Augen, Ohren und Nase wie Radarantennen die Luft nach Informationen ab. Ich hielt den Fuchs an einer Kette und machte ihn rings um die Hütte nacheinander an immer neuen Bäumen fest. Nachts schlief er unter einem kleinen Schutzdach. Ich hatte vor, ihn an die Adirondack-Umwelt zu gewöhnen, mit ihm spazierenzugehen und ihn jeden Abend freizulassen, damit er jagen lernte. Meine Hoffnung war, daß er einerseits Fühlung mit mir behielt, andererseits selbständig genug wurde, um allein in der Wildnis zurechtzukommen. Im September lief der Fuchs schon jeden Abend mehrere Stunden frei herum und kam doch bis zum Morgen immer zurück.
Eines Tages kam er nicht zurück. Ich wartete drei Tage. War er dem »Ruf der Wildnis« gefolgt, oder war er in Not? Durch den Wald zu laufen, zu pfeifen oder zu rufen, war sinnlos. Des Rätsels Lösung präsentierte sich mir in Gestalt eines üppigen Pelzes, den ein Staatspolizist in der Hand trug.
»Ich weiß, daß Sie einen Silberfuchs hatten«, begann er verlegen. »Ich glaube, das hier war er.«
Tränen stiegen mir in die Augen, und meine Hände wurden kalt.
»Drüben in Hawk Hill haben ihn vorgestern ein paar Leute geschossen«, fuhr er fort. »Sie sagten, der Fuchs habe es auf die Kaninchen abgesehen gehabt, die sie für die Kinder im Stall hatten. Er habe sich sonderbar benommen, überhaupt nicht menschenscheu. Sie befürchteten, daß er Tollwut haben könnte, und da haben sie mich geholt.«
»Nein, er war nicht menschenscheu«, sagte ich leise und dachte daran, wie sein dickes seidiges Fell sich unter meinen Fingern angefühlt hatte, wie fein und elastisch seine Knochen und Muskeln unter meinen Händen gewirkt hatten.
»Und tollwütig auch nicht«, fügte ich hinzu, als mir die böse Ironie aufging. Von klein auf bis zu seinem Ende hatte sich in Mapuches Leben alles um die Tollwut gedreht. Er hatte sie nie gehabt, und dennoch war sie der Grund für seine Gefangennahme und jetzt für seinen Tod gewesen.
Wortlos stand der Polizist da und bemerkte die Tränen in meinen Augen. »Schauen Sie«, sagte er, »ich mußte eine Tollwutuntersuchung vornehmen lassen. Ich mußte den Kopf nach Albany ins Labor schicken.«
Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort: »Der Fuchs war so schön, daß ich es nicht über mich brachte, den Kadaver zu begraben. Da habe ich ihn abgehäutet. Ich dachte mir, daß Sie vielleicht den Pelz gerben lassen und als Andenken behalten wollen.«
Mir wirbelte der Kopf. Ich war zugleich dankbar und angeekelt. Ein Teil von mir wollte, daß der Fuchs für immer verschwand, damit meine Trauer kurz sein würde; ein anderer Teil war sich klar, wie es kam, daß in bestimmten Kulturen Skalps, Totenschädel, Schrumpfköpfe, Asche und andere Überbleibsel von Menschen- und Tierkörpern zu Kultgegenständen erhoben werden. Es ist ein Versuch, bestimmte Eigenschaften des geliebten Wesens in Ehren zu halten und weiterleben zu lassen. Ich wollte ein Andenken an Mapuche in meiner Hütte. Tränenblind nahm ich das Fell an.
Heute hängt Mapuches Pelz neben meinem Schreibtisch, wobei sein Schwanz die Stuhllehne streift. Von Zeit zu Zeit greife ich nach oben und fahre durch das silberglänzende Fell. Fast ist es, als lebte er noch, nur der etwas strenge Fuchsgeruch und die wilden Bernsteinaugen fehlen.
Die Augen, die mich heutzutage anschauen, sind ebenfalls bernsteinklar und stolz, aber auch treu und liebevoll. Sie gehören einem riesigen deutschen Schäferhund namens »Pitzi«. Pitzi heißt in der Cakchiquel-Mayasprache »kleines Hündchen«. Das war Pitzi auch, als ich ihn an einem kleinen See im Hochland von Guatemala fand. Er und vier Geschwister lagen an ihre Mutter geschmiegt, eine kleine, hellgraue, sanftmütige Hündin. Zwei Jahre hatte ich an diesem See für meine Doktorarbeit geforscht. Täglich
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