Allein in der Wildnis
prompt »Inca«. Rasch lebte sie sich in der Hütte ein. Inca schaukelte an den Vorhängen, kippte Bücher von den Regalen, fing Mäuse und jagte Backenhörnchen. Sie verschleppte meine Sachen in den Wald und boxte mit meinen Stiefeln. Sie stieß Bleistifte vom Schreibtisch und drückte Tasten auf meiner Schreibmaschine. Ihr Lieblingssport war, an der Wand von Stamm zu Stamm zu springen und dabei Isoliermaterial aus den Ritzen zu reißen.
Ich fand das ganz amüsant, bis ich einmal mehrere Tage weg mußte. Es war unmöglich, sie an eine Leine zu legen oder unter dem Arm zu tragen. Wenn ich sie ins Boot setzen wollte, verwandelte sie sich in einen rasenden Dämon, sprang ins Wasser und wäre jedesmal fast ertrunken. Schließlich steckte ich die Katze in einen Rucksack und verschnürte die Öffnung. Ich schwang den Rucksack auf den Rücken oder legte ihn unten ins Boot. Aber egal, ob ich auf eine Wanderung ging, das Boot benutzte oder mit Schneeschuhen über den gefrorenen See lief: Inca, die Katze im Sack, fauchte, kratzte und rumorte wie der Teufel.
Sie hat nicht lange bei mir gewohnt. Trotz aller liebevollen Erziehungsversuche wurde sie wilder und wilder. An manchen Abenden tobte Inca in der Hütte herum wie ein elektrischer Mixquirl in der Rührschüssel. Unvermittelt sprang sie dann auf den Schreibtisch, fixierte mich mit ihren klaren Jadeaugen und saß still wie eine Statue. Aber sobald ich zu schreiben anfing, sprang sie mir auf die Hand. Es war unmöglich, in ihrem Beisein zu arbeiten. Als sie schließlich das Flughörnchen angriff und begann, am Futterhäuschen Vögel zu belauern, war ihr Schicksal besiegelt. Ich ließ sie sterilisieren und verschenkte die Katze an eine fröhliche alte Dame auf einer Hundertzwanzig-Hektar-Farm außerhalb der Adirondacks. Dort konnte sie nach Herzenslust jagen und herumstrolchen und es sich abends — mit drei Gefährtinnen und der katzenverliebten alten Dame — am Holzofen gemütlich machen.
In den folgenden Jahren verbrachte ich zwei Winter an einer Universität, wo ich für meine Promotion in Wildtierökologie arbeitete. Unsere Vorlesungen und Seminare über Wildtierkrankheiten fanden am Institut für Tierheilkunde statt. Dort lief gerade eine Tollwut-Versuchsreihe mit Wildfüchsen als Kontrolltieren. Eines Tages ging ich an den Zwingern vorbei und sah ein junges Silberfuchsmännchen im Schnee angepflockt. Sein Pelz war dicht und glänzend, sein Schwanz herrlich buschig. Wir standen und starrten einander an — er mit geschlitzten gelben Augen, so wild wie am Tag seiner Geburt, ich mit einem Blick der Zuneigung und Bewunderung. Durch einen kleinen Umweg auf meinem Gang zum Seminarraum war ich in der Lage, diesen Fuchs mehrmals in der Woche zu besuchen. Ein Name fiel mir ein, hängengeblieben aus einer Vorlesung über Indianerstämme: »Mapuche«. So hieß ein Indianerstamm in Südchile, der ebenso unbezwingbar wie die Augen dieses Fuchses war.
Eines Tages hörte ich, man brauche viele der Kontrollfüchse nicht mehr und werde sie wohl töten. Bei einem Veterinärprofessor erkundigte ich mich, ob mein kleiner Freund dazugehören würde. Es hatte mir schon vorgeschwebt, welch schönes Haustier er abgeben, wie frei er sich in der Hütte fühlen würde. Noch vor Ende der Woche hatte ich den Silberfuchs gekauft, wußte aber nicht, wohin mit ihm.
Da ich die meisten Wochenenden in der Hütte verbrachte, hatte ich nur ein kleines Zimmerchen in einem Studentenheim. Haustiere zu halten, war verboten. Meine Freunde wohnten größtenteils zur Untermiete, wo ähnliche Regeln galten. Meine Professoren hatten Häuser voller Kinder, Katzen, Hunde und Wellensittiche. Nach hektischer Suche fand ich vor einem Ornithologie-Labor einen großen leeren Vogelkäfig. Auf der einen Seite kollerten wilde Truthähne, auf der anderen putzte sich ein seltenes japanisches Kranichpärchen. Ein aufreizendes, appetitanregendes, allerdings nur temporäres Zuhause für Mapuche.
Im Februar brachte ich ihn dorthin. Und nun begannen die entmutigendsten Tage, die ich je mit einem Tier verbrachte. Mapuche ließ mich nicht an sich heran. Sobald er meinen Wagen kommen hörte, verkroch er sich in eine Ecke. Wenn ich durch das Türchen hineinschlüpfte, zog er die Lefzen hoch und fletschte die Zähne. Bot ich ihm frisches Wasser, Pferdefleisch oder Knochen an, zischte und knurrte er. Der Zwinger stank nach Urin und nach dem vom Fuchs verspritzten Moschus. Meine Kleider und Stiefel rochen so entsetzlich, daß ich
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