Allein in der Wildnis
Gefährlichkeit meiner Lage bewußt. Das Schloß war zugefroren. Wenn ich nicht ins Auto kam, den Motor starten und mich aufwärmen konnte, drohte mir der Kältetod. Alle Häuser um den Black Bear Lake waren für den Winter dichtgemacht. Umzukehren und gegen diesen arktischen Wind zurückzulaufen, verbot sich. Über den Berg nach Hawk Hill, zu meinen nächsten Nachbarn, waren es fünf Kilometer.
Ich fand ein Streichholzbriefchen und versuchte, Streichhölzer unter dem Schlüssel anzuzünden. Entweder blies der Wind sie aus, oder meine schwer behandschuhte Hand ließ sie zu Boden fallen. Aber einen anderen Weg, das Schloß aufzutauen, gab es nicht. Mit Ausdauer schaffte ich es, den Schlüssel zu erhitzen, und er schmolz sich ins Schloß hinein. Die Tür ging auf. Ich zitterte heftig.
Schon erhob sich eine neue Schwierigkeit. Das Getriebe war derart unterkühlt, daß sich der Schalthebel nicht rührte. Das hieß, daß ich mit dem Fuß auf der Kupplung Sitzenbleiben mußte, bis Motor und Heizung die Kabine erwärmten — falls der Motor ansprang. Ich zog den Choke voll heraus und drehte den Schlüssel. Unheilverkündendes heiseres Krächzen unter der Motorhaube. Noch einmal. Noch einmal. Endlich sprang er an, spuckte, hustete und lief dann rund. Nie im Leben bin ich einer Maschine so dankbar gewesen.
Sobald ich den Ganghebel in den Leerlauf bekam, stieg ich aus und rannte auf dem Parkplatz auf und ab. Ich fror bitterlich. Nach zehn Minuten war die Fahrerkabine warm genug, daß ich mich darin auftauen konnte. Das tat allerdings so weh, daß mir alle Lust aufs Abendessen verging. Um Haaresbreite war ich um Frostbeulen und vielleicht schwere Erfrierungen herumgekommen. Ich beschloß, sofort zur Hütte zurückzukehren, obwohl mich der Gedanke, bei Nacht, bei noch kälterer Luft, über den See zurücklaufen zu müssen, in Angst und Schrecken versetzte. Ein einziger Fehltritt — ein verrenkter Fuß, ein Einbrechen ins Eis, ein Wadenkrampf — konnte dann töten. Rasch töten. Wieder hatte ich einen Begriff bekommen von der Unerbittlichkeit und Schonungslosigkeit des Winters. Er kennt keinen Pardon.
Dieser Weihnachtsspaziergang dämpfte meine isolationistische Hüttenbegeisterung ein wenig. Er weckte in mir den Wunsch, aus meiner selbstgewählten Abkapselung Kommunikationsfühler in die Welt hinauszustrecken, irgendeine Verbindung nach draußen zu haben. Ein Telefon kam nicht in Frage, da der nächste Anschlußpunkt acht Kilometer entfernt lag. Aber mit einem CB (Citizen’s Band)-Funkgerät und einer großen Antenne würde ich in Notfällen Hawk Hill und vielleicht sogar Lake Serene erreichen können, wo eine freiwillige Feuerwehr und ein Krankenwagen stationiert waren.
Ich erstand ein kompaktes Transistor-Funkgerät und krönte den Dachfirst mit einer 2,7 Meter hohen Antenne. Eine 12-Volt-Autobatterie lieferte Strom. Am ersten Abend schaltete ich den Apparat ein und stellte ihn auf die einzige Frequenz ein, für die ich einen Kristall besaß. Es handelte sich, wie ich wußte, um die Notruffrequenz für unseren Teil der Adirondacks. Von der freiwilligen Feuerwehr und von einigen engagierten privaten CB-Funkern wird sie ständig abgehört.
Knistern, Knacken. Ich justierte die Störunterdrückung und hörte einen Bekannten in Hawk Hill einen Abschleppwagen rufen, der ein Auto aus einer Schneewehe ziehen sollte. Plötzlich schien die Hütte nicht mehr ganz so entlegen, der Winter nicht mehr ganz so trist. Ein Schimmer Kameradschaft, an dem ich mich wärmen konnte. Stimmen und Störknacken füllten die Luft, Instruktionen wurden gegeben. Als wieder Stille herrschte, drückt ich meinen Mikrofonknopf und sagte: »Hier ist Anne am Black Bear Lake, rufe Hawk Hill; Black Bear Lake ruft Hawk Hill.«
Schwaches Summen, dann heftiges Knacken. Eine tiefe Stimme antwortete: »KBX-5213 in Hawk Hill ruft Black Bear Lake. Verstehe Sie. Was gibt’s denn, Anne?«
»Ich probier’ nur mein neues Funkgerät. Kann Sie prima hören«, sagte ich stolz. »Wie geht es Ihnen?«
»10-4. Hier ist KBX-5213. Over and out.«
Der Apparat schwieg. Ich war von der kurzen, unfreundlichen Abfertigung verblüfft. Am nächsten Tag erklärte sich das, als ich einiges über die Vorschriften erfuhr, denen die CB-Funkerei unterliegt. Man muß eine Lizenz beantragen, bekommt eine Rufnummer und Buchstabenkombination und muß eine Gebühr entrichten. Die Notfrequenz darf nicht zum Schwatzen benutzt, sondern muß immer für dringende Rufe offengehalten
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