Allein in der Wildnis
Ufer zu Ufer überzog, begann für mich die Zeit der großen Wald-Trecks. Zwei bis drei Wochen lang, bis das Eis fest genug geworden war, mußte alles auf dem Rücken durch den Wald herein- und herausgeschleppt werden: Proviant, Milch, Post, Abfälle, Kerosin, Vorräte. Ohne Schnee dauerte der Gang eine halbe Stunde, im Schnee eine Stunde. Das Leben und Arbeiten war sicherlich anstrengender und zeitraubender als im Sommer und Herbst; andererseits machten die zusätzlichen Mühen körperlich sehr fit und gaben mir Gelegenheit, das Seeufer am Black Bear Lake besser kennenzulernen.
Eine der komischsten Episoden meines Hüttenlebens trug sich in dieser Zeit zu. Ein namhaftes Magazin wollte eine Story über die Adirondacks bringen. Die Redaktion beschloß, einen ihrer Star-Fotografen zu schicken, der Bilder von einer »Frau, die in einer Blockhütte wohnte und schrieb«, machen sollte. In einem langen Telefongespräch versuchte ich dem Mann klarzumachen, daß er das letzte Stück Weges zu Fuß kommen mußte. Kleines Gesprächsprotokoll:
»Hallo«, begann er energisch. »Also hören Sie, ich miete heute einen Hubschrauber und bin dann gegen elf bei Ihnen, um die Bilder zu schießen.«
»Hier gibt es aber keinen Landeplatz.«
»Keinen Landeplatz?« protestierte er. »Sind denn keine Felder in der Nähe?«
»Nein, nur Wald.«
»Und beim Haus haben Sie keine Wiese?« fragte er. »Kein freies Plätzchen?”
»Nein, nur Bäume.«
»Und eine Farm? Gibt es in der Nähe eine Farm?«
»Nein, keine Farm.«
»Aber hören Sie mal, es muß doch irgendeinen Durchschlupf geben. Was ist denn mit dem See? Wir können auf dem Eis landen.«
»Ich fürchte, das Eis ist erst ein paar Zentimeter dick. Es trägt kaum einen Menschen, geschweige denn einen Hubschrauber.«
»Wir müssen was finden. So viel Zeit, die ganze Strecke mit dem Auto hinzufahren, habe ich nicht.«
»Der nächste Landeplatz für einen Hubschrauber, der mir einfällt, ist ein Tennis-Court bei einem Hotel, dreizehn Kilometer entfernt. Ich könnte Sie da abholen und zum Black Bear Lake fahren. Für den Rest von zweieinhalb Kilometer wird Ihnen aber ein Fußmarsch nicht erspart bleiben.«
Pause. »Fußmarsch? Zweieinhalb Kilometer? Soll das heißen, daß es zu Ihrer Hütte keine Straße gibt?«
»Ja. Es gibt nur eine zum gegenüberliegenden Seeufer. Im Sommer fahren wir mit dem Boot rüber, und im Winter verwenden wir Schneemobile oder Schneeschuhe. Sie haben sich aber die schlimmste Jahreszeit ausgesucht, wo man überhaupt nicht über den See kommt. Also muß man zu Fuß gehen.«
»Geht’s nicht mit dem Schneemobil?« fragte er bittend.
»Nur ungefähr fünfhundert Meter. Dann wird der Pfad zu schmal und zu steil, und streckenweise gibt es überhaupt keinen Pfad.«
»Na, dann besorgen Sie bitte ein Schneemobil. Es spart ein bißchen Zeit.«
Geld schien für ihn keine Rolle zu spielen, Zeit dafür um so mehr. Also lieh ich mir ein Schneemobil. Damals fingen diese Maschinen gerade an, populär zu werden, und ich hatte noch nicht daran gedacht, mir eine anzuschaffen. Ich holte den Mann ab, forderte ihn auf, sich festzuhalten, und knatterte mit ihm und seinen Kameras fünfhundert Meter näher zu meiner Hütte.
Die Kameras und die Fotoausrüstung waren schrecklich schwer. Der Fotograf sah zwar ausnehmend gut aus, war aber völlig außer Form. Die zwei Kilometer brachten ihn heftig ins Schwitzen und ins Keuchen.
»Ein Königreich für einen Hubschrauber«, schnaufte er augenzwinkernd und stöhnte auf, als von einem Tannenast Schnee in seinen Jackenkragen fiel.
Trotzdem kamen wir hervorragend miteinander aus. Der Anblick meines rustikalen Häusleins mit den Büchern, Teppichen, Tierfellen und Reisesouvenirs richtete ihn wieder auf. In den nächsten zwei Stunden schoß er eine Menge Bilder, und der Abschied schien ihm schwerzufallen. Ob’s daran lag, daß er den langen Rückmarsch fürchtete, oder ob er gern einen gemütlichen Abend am Kamin verbracht hätte, weiß ich nicht. Ich glaube, es war beides, und ich hätte es nicht ungern gesehen, wenn er geblieben wäre.
Sobald ein ins Eis gehacktes Testloch sieben bis acht Zentimeter Dicke zeigte, traute ich mich wieder zu Fuß aufs Eis. Zunächst schnitt ich mir eine gerade, etwa zweieinhalb Meter lange Fichtenstange, und trieb durch das eine Ende einen Nagel. Wenn ich einbrach, konnte ich die Stange quer übers Eis legen und mich daran aus dem Loch ziehen, oder ich konnte den Nagel wie eine lange Kralle ins Eis
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