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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne LaBastille
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Zeitschriftenlektüre nach und tat auch einfach mal gar nichts. Später erzählte er mir: »Diese Hütte, dieser Frieden, dieser Schnee — das ist seit Jahren das erstemal, daß ich Telefone, Leute, Großstadtleben und die Tropen total hinter mir lassen kann. Und wohl schon seit zehn Jahren hatte ich keinen Schnee mehr gesehen!«
    Einer meiner überraschendsten Besucher war ein Geschäftsfreund meines Ex-Mannes. Der gutaussehende Mann mittleren Alters war in der Exportbranche tätig gewesen und hatte sich ziemlich plötzlich aus seinem Beruf zurückgezogen. Mit dem Postboot kam er bei meiner Hütte an und hatte gerade noch ein paar Stunden Zeit, ehe er nach Brasilien abfliegen wollte. Wir verbrachten einen netten Vormittag mit dem Austausch von Neuigkeiten. Er lebte jetzt auf einer Insel und besaß eine Bananenplantage. Unbedingt sollte ich ihn an Weihnachten besuchen kommen. Er schien sich sehr für die Hütte zu interessieren und beäugte mich intensiv. Zurück an der Lände und bei seinem Mietwagen, bat er mich noch einmal eindringlich, zu kommen. Er wollte sogar das halbe Reisegeld übernehmen. Da dämmerte es mir: Er war auf Brautschau und suchte eine Frau für seine Insel und sein neues Leben.
    Aus einem Impuls heraus habe ich seine Einladung auf Weihnachten auch tatsächlich befolgt. Auf der Insel war es herrlich. Allerdings waren die Hausgäste für meinen Geschmack ein bißchen zu gekünstelt, und mein Gastgeber zeigte zu dieser Zeit ein betontes Interesse an einer jungen Mulattin. Da ich in beide Kategorien nicht paßte, flog ich zwei Wochen später zum Black Bear Lake zurück, sonnengebräunt und mit einem leichten Bedauern. Es wäre ja nicht schlecht gewesen, mit jemandem im Sommer in der Adirondack-Hütte zu leben, und im Winter auf der brasilianischen Bananenplantage.

    Besucher anderer Hautfarbe sind in den Adirondacks selten. Die Reaktion der Einheimischen auf sie bewegt sich über die ganze Bandbreite der Gefühle. Eines Sonntags, kurz nach dem Bau der Hütte, war Ruthie, eine Zimmergenossin vom College, auf ein Wochenende zu Besuch gekommen und brachte ihren zahmen Waschbären Freddy und ihre beste Freundin Kathy mit. Kathy war Kinderpsychologin, intelligent, schön und schwarz. Sie war die erste schwarze Person, die man am Black Bear Lake je zu Gesicht bekam. Zu dritt fuhren wir samt Waschbär im Boot über den See, und ich konnte mir die Kommentare der Sommernachbarn gut vorstellen, die mit aufgerissenen Augen hinter dem Boot herstarrten. Eine Negerin und ein zahmer Waschbär! Was brütete die aus der Blockhütte denn jetzt schon wieder aus?
    Wir verbrachten ein vergnügtes Wochenende, schwammen, segelten und machten die Rundwanderung durch die Wälder mit einem Picknick am Sunshine Lake. Freddy blühte an der frischen Adirondack-Luft geradezu auf. Überallhin folgte er uns an der Leine, drehte Steine am Seeufer um, fing Krebse und schlief sogar im Freien in einem Baumstumpf. Er war noch nie aus der Großstadt herausgekommen. Ruthie hatte ihn als kleines Kerlchen in einer Tierhandlung gekauft.
    Kurz nachdem die Gesellschaft am Montag morgen wieder abgereist war, sprach ein besorgter Besucher am Anleger vor. Ohne aus dem Boot auszusteigen, sagte er mit gepreßter Stimme: »Anne, hör mal, damit du’s weißt. Man redet über dich. Man sagt, du hättest hier eine Negerin. Sieh dich bitte vor. Einigen der Typen, die wir hier haben, ist es zuzutrauen, daß sie dir das Dach über dem Kopf anzünden.« (Das ist bei uns in den Bergen die althergebrachte Form der Rache).
    Ich war wie vor den Kopf geschlagen, dann wütend. Nie zuvor hatte ich in den Adirondacks Rassismus gewittert. Konnte es denn wahr sein, daß gewissen Leuten die Anwesenheit einer Schwarzen nicht paßte? Oder war es nur gehässiger Klatsch, aufgebauscht durch die Besorgnis meines Nachbarn? Ich erhöhte jedenfalls die Feuerversicherungssumme und hielt weiterhin die Tür offen für jedermann, den ich gern hatte, unabhängig von Hautfarbe und Glaubensbekenntnis. Nichts geschah in diesem Sommer. Die ganzen nächsten fünf Jahre gingen ohne Zwischenfall vorbei.
    Dann wurde bei Lake Serene ein schmales, holpriges Straßenstück verbreitert und erneuert. Dazu kam eine große Straßenbaurotte von außerhalb der Adirondacks angereist. Als »Flagwoman« (die mit der Fahne in der Hand herankommende Autos warnte) war bei ihnen eine junge schlanke Schwarze mit Afro-Frisur, strengem, etwas exzentrischen Gesicht und wunderschönen Zähnen. Ich hielt

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