Allein in der Wildnis
ich einen passionierten Angler zu Gast hatte, bot ich ihm eine Tour über den See an. Wir machten unser Angelzeug fertig und ruderten zum Quelloch hinüber. Zum Quelloch, das einen nie im Stich ließ; zum Quelloch, das den ganzen Sommer Forellen enthielt; zum Quelloch, das immer kalt war; zum Quelloch, auf das sich jedermann fest verlassen konnte. Es versagte schmählich. Stundenlag wartete der Oberst, doch nichts biß an.
Der Oberst war der erste und einzige Gast, der jeden Morgen ein heißes Bad wünschte — und es nahm — , ungeachtet der Tatsache, daß das Seewasser eine gute Badetemperatur von mehr als zwanzig Grad hatte und mildes Wetter herrschte. Intuition sagte mir, daß es sich beim Morgenbad vielleicht um ein wichtiges Ritual im Tagesablauf dieses Mannes handelte. So lief, während wir das Frühstück zubereiteten und aßen, das Bad ein, ein Vorgang, der bei der beschränkten Leistungsfähigkeit meines Wassersystems eine halbe Stunde beanspruchte. Auf den Kiesboden legte ich einen kleinen Läufer, hängte ein gewaltiges Badetuch an einen Nagel, räumte die Werkbank frei und legte darauf Seife, Waschlappen, Bürste, Badeöl, Körperpuder und Spiegel zurecht.
»Ihr Bad, Oberst«, rief ich und kam mir wie ein Offiziersbursche vor.
Im eleganten seidenen Bademantel schritt er dann um die Hütte zur Souterrain-Tür und quetschte sich in den engen Raum, mit einem Rasierschälchen, altmodischem Rasiermesser, Lederriemen, Kamm und Bürste, Schuhputzzeug, Pinzette, Schere, kompletter frischer Wäsche und seinen Stiefeln in der Hand. Anderthalb Stunden blieb er drinnen, und dann präsentierte er sich, gepflegt wie der König von England. Ich entschuldigte mich für meine primitive Badeanlage, aber er versicherte mir, sie sei luxuriös, verglichen mit manchen Feldstationen, in denen er bei Armeemanövern gelebt habe.
Manchmal freilich hatte ich auch Gäste, die der rustikalen Einfachheit meines Heims distanzierter gegenüberstanden. Eine Tante kam aus Deutschland. Ich hatte sie jahrelang nicht gesehen und freute mich sehr auf den Besuch. Begeistert nahm meine Tante Sonnenbäder auf dem Deck und Schwimmbäder im See, aber vor meinem Toilettenhäuschen scheute sie pikiert zurück, schrie auf, wenn sie eine Eule hörte, und fiel in Ohnmacht, wenn sie eine Maus sah. Vor all dem konnte ich sie nicht abschirmen. Nach drei spannungsgeladenen Tagen brachte ich sie in einem Motel in Lake Serene unter und besuchte sie täglich auf dem manikürten Rasen unter einem riesigen Aluminiumschirm.
Da ich das Gefühl hatte, sie enttäuscht zu haben, arrangierte ich eine Champagnerparty, damit die Sommernachbarn meinen Gast kennenlernen konnten. Zu meiner Überraschung erschienen mehr als dreißig Leute, manche mit Schlips und gutem Anzug! Der Anleger sah mit seinen vielen vertäuten Booten wie eine öffentliche Bootslände aus. Eine Kiste Champagner und Dutzende Hors d’oeuvres wurden weggeputzt. Meine Tante war von der Adirondack-Gastfreundschaft überwältigt. So sehr, daß sie Mäuse, Eulen und Toilettenhäuschen vergaß und jedermann versicherte, ich hätte »ein ganz einmalig schönes Zuhause« und ihr Besuch am Black Bear Lake sei »der Höhepunkt der ganzen Amerikareise«.
Champagner gab es auch bei einem anderen Gast, einem reichen Geschäftsmann aus Zentralamerika, der einen Großteil seiner Zeit dem Umweltschutz widmete. Er kam zu mir, um über die Einrichtung von Nationalparks in seinem Heimatland zu sprechen. Zwei große Flaschen Moët brachte er mit, ein prachtvolles Geschenk. Lange diskutierten wir über Naturschutz und schlürften eiskalten Champagner am Feuer.
Ein weiterer Naturschützer aus dem Süden — aus Guatemala — traf im Herbst ein und hatte das Glück, den ersten Schneefall seines Lebens zu sehen. Ich war, als ich seinen Ausrufen des Entzückens lauschte, so stolz auf den Schneesturm, als hätte ich ihn höchstpersönlich geschaffen. Er studierte eine Schneeflocke mit dem Vergrößerungsglas, ließ Schnee auf der Zunge zergehen und bewarf mich mit Schneebällen. Sogar einen Iglu wollte er bauen!
Auch ein Tierökologe aus Nairobi kam in der Schneezeit zu Besuch. Die funkelnd klare kalte Winterwelt war für ihn ein Hochgenuß. Sobald die Formalitäten erledigt waren, zog er sich auf meine vordere Veranda zurück und rückte einen Stuhl dicht an das große Panoramafenster. Dort saß er drei Tage, schaute in den Schneewald hinaus, schrieb Notizen, diktierte Briefe in einen Kassettenrecorder, holte
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