Allein in der Wildnis
ein paarmal am Straßenrand, um mit Marcia zu plaudern. Ich mochte sie auf Anhieb. Sie war rebellisch, robust, listig, emanzipiert, idealistisch und komisch. Wenn man beobachtete, wie sie sich unter fünfzig weißen Arbeitern behauptete, und sie sprechen hörte, wußte man, daß sie etwas Besonderes war.
Ich lud Marcia in die Hütte ein, teils aus Gastfreundschaft und teils aus einem Trotzgefühl heraus. Wir verbrachten einen faulen Nachmittag, lagen auf meinem Anleger und redeten über Women’s Lib und schwarze Frauen. Marcia war zwanzig und wollte mal Großtraktoren fahren oder Ballettänzerin werden. In den Adirondacks hatte man ihr, wie sie erzählte, einen »gemischten Empfang« bereitet. Manche Leute ignorierten sie, andere freundeten sich mit ihr an. Ein Tankwart verweigerte ihr den Schlüssel zur Toilette. Andererseits offerierte man ihr kostenlos ein Häuschen zum Wohnen, Mitfahrgelegenheiten zur Arbeit, Abendessen und Verabredungen. Keine Warnungen, keine aufschreckenden Besuche, kein Klatsch folgte dieser zweiten schwarzen Besucherin. Änderten sich die Menschen und die Zeiten? Es schien mir so.
Der traurigste Besuch meiner Hüttengeschichte spielte sich ab, als Ruthie, meine ehemalige Zimmergenossin, und ihr zahmer Waschbär zurückkamen. Sie war überzeugt, daß die Adirondacks wie Medizin auf Freddy wirkten. Diesmal brachte sie ihren Freund Pete mit. Es war schwer zu sagen, wen sie mehr knuddelte, den bepelzten oder den glatthäutigen Kumpel. Der eine war wie ihr Kind, der andere ihr Liebhaber. Zum Glück hatte Pete das Tierchen fast ebenso gern wie Ruthie, so daß es keine Eifersucht zwischen ihnen gab. Wir packten ein Picknick ein und wollten wieder dieselbe Strecke durch den Wald gehen. Freddy kam wieder an die Leine.
Ich vernarrte mich in diesen Waschbären mit seinen lebhaften braunen Augen, seinen possierlichen Pfoten, seinem Näschen, das er in alles steckte, und seiner Clownsmaske. Freddy liebte es, wenn man seinen buschigen Schwanz streichelte, und rollte sich in jedermanns Armen zusammen, um diese Liebkosung zu empfangen. Ich begann mir zu überlegen, ob ich mir nicht selbst einen Waschbären als Haustier anschaffen sollte.
Am Sunshine Lake angekommen, schlüpften wir in unsere Badeanzüge und sonnten uns ein bißchen vor dem Schwimmen. Freddy wurde an einen Baum gebunden. Später, auf dem Rücken treibend, erspähte ich ihn frei am Strand, wie er meinen Packkorb durchwühlte.
»Ruthie«, rief ich, »Freddy ist los.«
Sie hörte einen Moment auf, Pete mit Wasser zu bespritzen, und blickte zu dem neugierigen Tier hin.
»Das macht nichts, besonders wenn wir Futter im Korb haben. Der läuft nicht weg.« Sie tauchte und schnappte nach Petes Beinen.
Aber Freddy lief weg. Als wir zehn Minuten später lachend, triefend und hungrig an Land stiegen, waren zwei Sandwiches und der Waschbär verschwunden. Ruthie suchte den Strand ab, in der festen Erwartung, Freddy würde jeden Augenblick angewatschelt kommen. Pete und ich fingen an zu essen. Zwei Stunden später war Freddy immer noch nicht wieder da. Ruthie weinte. Pete und ich liefen durch den Wald, hielten immer wieder inne und riefen seinen Namen, verlockende Sandwich-Stückchen in der Hand. Bis fast zur Dunkelheit warteten wir. Pete und Ruthie hatten noch eine lange Heimfahrt vor sich.
Ich tröstete meine Freundin: »Heute abend wird Freddy wahrscheinlich an der Hütte auftauchen, wenn er Hunger hat. Vielleicht hält er nach den beiden Sandwiches jetzt im Wald ein Verdauungsschläfchen. Mit seiner scharfen Nase kann er unserer Spur nachgehen.«
»Aber er ist noch nie allein draußen gewesen«, jammerte Ruthie. »Er weiß nicht, was er machen soll, wo er hin soll. Irgendein Tier wird ihn fressen.« Sie brach erneut in Tränen aus.
»So große Tiere gibt’s hier gar nicht«, sagte ich, von meinen eigenen Worten nicht ganz überzeugt. Könnte ein junger Bär an ihm Geschmack finden? Eine große Eule ihn angreifen? »Ich verspreche dir, morgen kämme ich den Wald ab, wenn Freddy heute abend nicht auftaucht. Und sobald ich Neues weiß, rufe ich dich an.«
Bei der Abfahrt, als sie im Boot saß, Petes Arm um die Schulter geschlungen, weinte sie immer noch. Freddy kam nie zurück und wurde auch nie gefunden.
Eine Anzahl Leute mit interessanten Spezialberufen hat mich über die Jahre besucht. Jeder brachte bestimmte Fachcharakteristika mit, irgendwelche Spezialkenntnisse oder Anregungen, die dankbar aufgenommen wurden. Ein Vogel-Biochemiker,
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