Allein in der Wildnis
dem Grund ruhenden Welse diese majestätische Musik hören können. Ein kleines Dampfwölkchen pufft zum Himmel, wie ich den Deckel vom Spaghettitopf nehme. Pitzis Nase zuckt, aber er bleibt reglos. Guter Hund! Leicht wie ein Blatt auf dem See treibend, verzehre ich mein Mahl. Der Smog hat mittlerweile die Sonne verschlungen. Das Zwielicht ist monochromatisch Grau und Schwarz, Zinn und Onyx, Silber und Ebenholz. Die ganze Welt scheint, als die Sinfonie langsam zu Ende geht, in Sommertrance zu liegen.
Da startet seeaufwärts ein Motorboot. In weitem Bogen röhrt es vom Ufer weg und über den See, genau auf mich zu. Ich schnappe meine Taschenlampe und blinke nervös dreimal, dann noch dreimal. Es ist Jims Boot. Endlich sieht er mich und geht leicht vom Kurs ab. Er und seine Frau grinsen und winken, als sie mit fünfzig Stundenkilometern an mir vorbeirauschen, ab in irgendeine Kneipe, um den Abend zu verbringen. Langsam rollt das massige Kielwasser auf mein Kanu zu. Ich setze mich auf, nehme ein Paddel und drehe das Boot so, daß es die großen Wellen Bug voraus nimmt. Die Bierflasche kippt um, Beethoven wird ersäuft, der Hund erhebt sich taumelnd und bringt uns fast zum Kentern. Wellen der Wut, ebenso hoch wie Jims Kielwasser, steigen in mir auf. Das habe ich mir nicht erträumt, als ich hierher zum Black Bear Lake zog. Ganz und gar nicht.
Vielleicht ist es Zeit, kampieren zu gehen. Jetzt an den betriebsamen Juli- und Augustwochenenden kommt ein großer Teil unseres alljährlichen acht Millionen starken Besucherstroms. Kein Wunder, daß unsere Straßen und Wasserwege mit Menschen und Maschinen verstopft sind. Liegen diese Berge doch in Reichweite — eine Tagesreise entfernt — von fünfzig Millionen Menschen. Wer will es ihnen, die zu achtundsiebzig Prozent in Großstädten leben, verdenken, daß sie hier oben Ruhe, Kühle und Erholung suchen. Ich nicht.
Am nächsten Morgen schließe ich die Hütte. Die Lebensmittel sind eingepackt, das Kanu ist oben auf dem Auto festgezurrt. Pitzi, der weiß, daß es auf Reisen geht, ist hellauf begeistert. Meistens fahre ich im Sommer an einen großen See, der achtzig Kilometer Küstenlinie ohne ein einziges Haus (abgesehen von der staatlichen Bootsanlegestelle) und weite Wildnis-Areale bietet. Obschon viele Kampierer und Kanuten am See weilen, gibt es immer noch einsame Inseln, einsame Landzungen und einsame Fleckchen Strand, wo man für sich sein kann.
Am staatlichen Anleger setze ich das Kanu ins Wasser und paddle los. Wenn man fünfzehn Kilometer über den See fährt, hat man schon die Hälfte der Leute hinter sich gelassen. Am Nordende des Sees sind ein paar vielversprechend aussehende fjordähnliche Buchten. Im August hat der See meistens einen niedrigen Wasserstand, so daß gelbe Sandstreifen bloßliegen. Pitzi und ich finden einen idealen Lagerplatz. Von einem kieferbestandenen Kap streckt sich eine sandige Zunge in den See. Auf der Südseite fällt sie in tiefes Wasser ab, das mir weit über den Kopf reicht. Gut zum Schwimmen. Auf der Nordseite dient eine windgeschützte Bucht als seichter Hafen für mein Kanu. Unter einer riesigen Kiefer direkt am Strand schlage ich mein Zelt auf. Der Steinkreis vom letztjährigen Lagerfeuer ist noch da, dazu viel angeschwemmtes Treibholz. Das gibt ein knackiges Feuer heute abend. Dann fällt es mir ein: Vollmond! Bei dem warmen und schönen Wetter wird es bestimmt herrlich.
Ich verbringe den Nachmittag mit dem Aufschlagen des Lagers, gehe schwimmen und halte ein Schwätzchen mit einer vorbeifahrenden Flottille Pfadfinder. Pitzi hilft mir beim Sammeln von zusätzlichem Brennholz. Aber er verliert das Interesse, als ein Birkhuhn und seine Küken auf dem Waldboden vorbeigetrippelt kommen. Er pirscht sich an die Mutter an, die daraufhin ihr Theaterstückchen »Ich bin flügellahm« bühnenreif aufführt. Pitzi ist perplex. Inzwischen haben sich die kleinen Flaumbällchen in Sicherheit gebracht. Wie der Hund merkt, daß die Mutter in Wirklichkeit gar nicht lahm ist, befindet sich die ganze Familie schon außerhalb seiner Reichweite.
Nach dem Abendessen strecken wir uns auf dem noch sonnenwarmen Sand aus und warten auf den Mond. Alles ist friedlich. Der See ist groß genug, daß ferne Motorboote auf Zwergengröße schrumpfen und kaum zu hören sind. Die Bugwellen, die bis hierher kommen, sind auf dem stillen Wasser nur noch ein schwaches Wogen. Mehrere Kilometer trennen mich von den nächsten Kampierern, deren Lagerfeuer ein geselliger
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