Allein in der Wildnis
wir hätten mehr Zeit, um miteinander zu sprechen.« Er warf mir einen schnellen Blick zu, und wieder wechselte das Gewehr von der einen Hand in die andere.
Fast ohne nachzudenken, platzte ich heraus: »Möchten Sie mit zu mir zum Kaffee kommen?« Dann erklärte ich: »Wir müßten das letzte Wegstück mit dem Boot fahren, und es wird schon dunkel sein, wenn Sie wieder gehen. Vielleicht sind Sie auch müde von der Jagd.« Auf einmal saß mir ein Kloß im Hals.
»Nein, ich bin nicht müde«, antwortete er, und seine Miene hellte sich auf. »Ich würde sehr gern mitkommen, aber ich habe meinen Kumpels versprochen, daß ich heute abend Poker mit ihnen spiele.«
Er zog einen Augenblick die Stirn kraus und sagte: »Warten Sie einen Augenblick.« Er lehnte das Gewehr an meinen Wagen und ging zum nächsten Mann hinüber. Eine merkwürdige Vorfreude stieg in mir auf.
»Alles klar«, sagte er, als er zurückkam. »Das Spiel beginnt nicht vor acht Uhr. Jetzt ist es fünf, da kann ich auf jeden Fall rechtzeitig wieder zurück sein. Soll ich Ihnen nachfahren?«
Wir fuhren zum öffentlichen Anleger, parkten und bestiegen mein Boot. Es war Zwielicht, und es wurde kälter. Die purpurnen Wolken hatten mittlerweile den gesamten südwestlichen Horizont verhüllt und sahen bedrohlich aus.
»Bis morgen früh könnte es Schnee geben«, prognostizierte Nick und wies zum Himmel. »Das wäre gut für die Spurensuche.« Dann schwieg er und ließ den Blick über die Uferlinie schweifen.
Wir erreichten meine Lände, und ich ging zu meinem Häuschen voraus. »Ein bißchen klein ist es«, entschuldigte ich mich, »aber ich habe es zum größten Teil selbst gebaut.«
Nick blieb auf dem Weg stehen. »Das haben Sie selber gebaut?«
Ich nickte.
»Heiliger Bimbam. Eine echte Blockhütte. Toll.« Und er begann um das Blockhaus herumzugehen, Bauplatz und Konstruktion begutachtend.
Ich ging hinein, setzte Kaffee auf und warf ein frisches Gelbbirkenscheit in den Franklin-Ofen. Nick kam nach, warf einen Blick auf das helle Emailgeschirr, die Zier meiner Küche, duckte automatisch seine Ein-Meter-achtzig-Gestalt, um durch meine niedrige Tür zu kommen, und stand still in der Mitte meines Hauptraumes. Kein Laut, nur das Feuer knisterte. Schließlich seufzte er.
»Das nenne ich ein Zuhause«, sagte er schlicht. Er ging umher, strich über Mapuches Pelz, nahm ein Buch vom Regal, schwang die schöne Collins-Axt, die an der Wand hing. Dann setzte er sich in den Boston-Schaukelstuhl und sah mich an. »Schön haben Sie’s, wirklich.«
Etwas beklommen goß ich Kaffee ein und bot Nick Milch und Zucker an. Die Stille zog sich in die Länge. Da es im Zimmer fast dunkel war, machte ich eine Gaslampe an und öffnete die Klapptüren des gußeisernen Ofens. Flammenschein züngelte über das glänzende Schwarzbärenfell, das als Teppich auf dem Boden lag. Wir schlürften Kaffee und begannen, einander ein bißchen auszufragen. Langsam legte sich meine Befangenheit, und ich interessierte mich immer mehr für diesen Mann. Bescheiden sprach er über seinen Beruf, seine Reisen, seine Erlebnisse beim Militär, dann auch über seine Scheidung. Es war ein beunruhigender Bericht, der mein tiefes Mitgefühl weckte.
Als Nick schwieg, entstand eine lange Pause, durchtönt nur von den heimeligen Hüttengeräuschen: dem leisen Zischen der Gaslampe, dem Knacken des Feuers, dem Quietschen des Schaukelstuhls, wenn Nick sich bewegte, dem Flüstern des Windes draußen.
»Und Sie?« fragte er leise.
Vertrauen war geschenkt worden. Vertrauen sollte wiedergeschenkt werden. Mich diesem neugefundenen Freund ganz öffnend, erzählte ich ihm meine Kümmernisse der letzten Jahre. Beim Reden wurde mir plötzlich klar, daß sich eine Perspektive in mir entwickelt hatte. Es war nur noch wenig Bitterkeit zurückgeblieben. Noch überraschender ertappte ich mich bei der Frage, wie es wohl wäre, wenn ich einen Mann wie Nick liebte, tief liebte. Konnte es sein, daß meine frostige Seelen — Attitüde aufzutauen begann?
Ich schaute auf die Uhr. Es war halb neun. »Oh, Nick, Ihr Pokerspiel. Es hat schon angefangen.«
»Im Ernst? Sagen Sie bloß, es ist schon acht!« rief er.
»Schon weit nach acht. Soll ich Sie über den See bringen?« fragte ich und hoffte, daß er nein sagen würde.
»Ich kann Sie nicht länger aufhalten. Meinetwegen haben Sie sicher schon Ihr Abendessen versäumt, Anne. Es tut mir leid. Aber, glauben Sie mir, es ist richtig wohltuend, so zu reden.«
Immer noch
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