Allein in der Wildnis
trocken, weil der Felsen ein wasserdichtes Dach bildete.
Brian kroch in die Höhle und setzte sich in den Sand. Es war kühl im Schatten und das tat gut – besonders in Brians Gesicht, wo der Sonnenbrand sich zu schälen begann und die Beule an der Stirn immer noch schmerzte.
Aber er fühlte sich schwach. Der kurze Weg zur Rückseite der Klippe hatte ihn erschöpft und seine Knie waren weich wie Gummi. Ja, es tat gut, ein Weilchen im Schatten unter dem Felsen auf dem kühlen Sand zu sitzen.
Oh, wenn ich etwas zu essen hätte!, dachte er. Irgendetwas.
Nachdem er sich ausgeruht hatte, ging er hinunter zum See, um Wasser zu trinken. Er war nicht durstig und trank nur ein paar Schluck, aber er glaubte, das Wasser würde seinen Hunger lindern. Das tat es aber nicht. Mit dem kalten Wasser im Bauch spürte er den Hunger noch stärker.
Dann fiel ihm die Schutzhütte wieder ein. Er durfte nicht faul sein. Er musste Holz herbeischleppen, um die Wand vor der Höhle im Fels zu bauen. Als er sich aber nach einem Stück Treibholz am Ufer bückte, merkte er, dass seine Arme zu schwach waren, um es hochzuheben. Er wusste, er war nicht nur durch die Folgen des Unfalls geschwächt, durch die Prellungen an seinem Körper und die Beule am Kopf. Es war der Hunger, der ihm die Kräfte zu rauben schien. Er musste etwas zu essen finden, und zwar sofort. Vorher konnte er nichts anderes tun. Er musste essen. Aber was?
Brian lehnte sich gegen die Höhlenwand und starrte auf den See hinaus. Etwas zu essen! Er war es gewöhnt, dass immer Essen auf dem Tisch stand. Und wenn er Hunger hatte, brauchte er nur an den Kühlschrank zu gehen oder in den Supermarkt an der Ecke. Seine Mutter freute sich, wenn ihm schmeckte, was sie gekocht hatte.
Oh, dachte er, in der Erinnerung an Mutters gutes Essen. Und er erinnerte sich an Thanksgiving im letzten Jahr – das letzte Erntedankfest, das sie zusammen gefeiert hatten, bevor seine Mutter die Scheidung einreichte und sein Vater aus der Wohnung auszog. Schon damals kannte Brian das Geheimnis seiner Mutter, aber er hatte nicht geglaubt, dass es die Familie trennen würde. Er hoffte, alles könnte wieder gut werden. Auch wenn sein Vater das Geheimnis noch immer nicht kannte. Das Geheimnis, das er ihm eines Tages erzählen musste. Wenn er ihn wiedersah …
Zum Festtag hatte es einen Truthahn gegeben. Sie hatten ihn draußen im Garten gebraten, in einer Kasserolle auf dem Holzkohlengrill. Sein Vater hatte Hickoryspäne in die Glut geworfen. Bratendüfte und der würzige Rauch des Feuers wehten durch den Garten. Als der Vater dann den Deckel abnahm, war der Geruch unbeschreiblich. Dann saßen sie am Tisch und das saftige Fleisch schmeckte nach Maronen und Rauch …
Halt!, befahl Brian sich selbst. Die Spucke lief ihm im Mund zusammen. Sein Magen verkrampfte sich knurrend. Was sollte er essen?
Im Fernsehen hatte er einmal einen Bericht über das Training von Fliegern beim Militär gesehen. Die Männer hatten die Aufgabe, ohne Proviant und ohne Hilfsmittel in der Wüste zu überleben. Sie waren in einem dürren Landstrich von Arizona abgesetzt worden und sollten dort eine Woche ausharren. Eine Woche lang mussten sie selbst Nahrung und Wasser finden.
Sie tranken den nächtlichen Tau, den sie in Plastikplanen sammelten. Und sie aßen Eidechsen. Mehr gab es nicht.
Brian dagegen hatte Wasser in unbegrenzten Mengen. Aber Eidechsen gab es nicht in den Wäldern Kanadas, soviel er wusste. Einer der Piloten benutzte den Glasdeckel seiner Uhr als Vergrößerungsglas, um die Strahlen der Sonne zu bündeln und Feuer zu machen. Wenigstens brauchten sie die Eidechsen nicht roh zu verspeisen. Doch Brian hatte eine Digitaluhr ohne Glasdeckel und außerdem war sie kaputt. Dieser Fernsehfilm, so interessant er gewesen war, konnte ihm nicht viel helfen.
Aber warte, da war doch noch etwas. Eine Pilotin – eine der Frauen in der Gruppe – hatte eine Sorte wilder Bohnen gefunden, die an Sträuchern wuchsen. In einer leeren Konservendose kochte sie Bohnensuppe mit Eidechsenfleisch. Hier gab es bestimmt keine Bohnen – aber es musste doch Beeren geben. Im Wald gibt es immer Beeren, sagten die Leute. Na, tatsächlich hatte Brian es noch niemanden sagen hören. Aber es musste so sein.
Hier in den Wäldern musste es Beerensträucher geben.
Er stand auf, trat auf den Sandstrand vor seiner Höhle und schaute nach der Sonne. Sie stand immer noch hoch am Himmel. Brian wusste aber nicht, wie spät es war. Zu Hause mochte es
Weitere Kostenlose Bücher