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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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Mittag sein, zwischen ein und zwei Uhr, wenn die Sonne so hoch stand. Um diese Zeit stellte seine Mutter zu Hause das Essgeschirr in die Spüle und machte sich fertig zum Ausgehen, zu ihrem Aerobic-Kurs. Nein, halt, das war gestern! Heute ging sie aus, um sich mit ihm zu treffen. Heute war Donnerstag und donnerstags traf sie sich immer mit dem anderen Mann. Blinder Hass kochte in Brian auf, wenn er daran dachte. Hätte die Mutter nicht angefangen sich mit ihm zu treffen, dann hätte es keine Scheidung gegeben. Dann wäre Brian jetzt nicht hier.
    Halt!, dachte Brian kopfschüttelnd. So etwas durfte er nicht denken. Die Sonne stand hoch und er hatte genügend Zeit, um Beeren suchen zu gehen. Bis es dunkel wurde, wollte er wieder hier sein. Die Höhle unter der Klippe war das einzig Vertraute, was er besaß.
    Er wollte nicht in der Dunkelheit durch den Wald laufen. Er wollte sich nicht verirren. Dies war das eigentliche Problem. Die einzigen Landmarken hier waren der See, der Hügel hinter ihm und die Felsklippe über seinem Lagerplatz. Wenn er diese Orientierungspunkte aus dem Auge verlor, konnte er sich verlaufen und vielleicht nie mehr zurückfinden.
    Er musste also beim Beerensuchen immer den Felsblock im Auge behalten.
    Brian warf einen Blick auf das nördliche Seeufer. Ein Stück weit – etwa zweihundert Meter – erstreckte sich eine offene Wiese. Dann kamen hohe Fichten, die ihre Kronen in der Brise wiegten. Erst danach begann dichtes Buschwerk, das sich wie eine undurchdringliche Mauer rund um den See zog.
    Wenn es hier Beeren gab, dann an diesen Sträuchern, überlegte Brian. Wenn er also stets in der Nähe des Ufers blieb, das Wasser zu seiner Rechten, konnte er sich eigentlich nicht verirren. Wenn er genug Beeren gesammelt und sich satt gegessen hatte, so dachte er, würde er einfach umkehren – das Wasser immer zur Linken – und drauflosmarschieren, bis er seine Höhle unter der Klippe erreicht hatte.
    Ganz einfach, sagte er sich. Immer nur einfache, kurze Gedanken. Ich bin Brian Robeson. Ich habe einen Flugzeugabsturz überlebt. Ich muss etwas zu essen finden. Ich werde Beeren sammeln.
    Langsam ging er am Ufer entlang, immer noch hinkend, mit schmerzenden Knochen und vom Hunger geschwächt. Über ihm, in den sonnenerfüllten Wipfeln der Bäume, sangen Vögel. Manche der Vogelstimmen kannte er, andere kannte er nicht. Er sah Rotkehlchen, eine Art von kleinen Sperlingen und einen Schwarm orangeroter Vögel mit kräftigen Schnäbeln. Zwanzig bis dreißig mussten es sein, die durch die Zweige einer Fichte turnten. Als er an diesem Baum vorbeiging, kreischten sie aufgeregt und flatterten davon. Er schaute ihnen nach – leuchtende Punkte im düsteren Grün des Waldes – und so fand er die Beeren.
    Die Vögel landeten in einem Strauch mit kleinen saftigen Blättern, einer Art Weidenstrauch, wo sie mit großem Spektakel durch die Zweige huschten. Brian war zu weit entfernt, um zu erkennen, was sie da machten. Angezogen von den bunten Farben ihres Gefieders folgte er ihnen, immer das Ufer zur Rechten in Sicht. Und als er nah genug herangekommen war, sah er, dass sie Beeren fraßen.
    So einfach! Brian konnte es kaum glauben. Die Vögel hatten ihn zu den Beeren geführt. Fünf Meter hohe Äste bogen sich unter der Last leuchtend roter Beerenbüschel. Sie ähnelten Weintrauben, waren aber nur halb so groß. Brian juchzte vor Freude. Rasch lief er hin, während die Vögel erschreckt aus den Zweigen aufflatterten. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und konnte sich die Beeren direkt vom Ast in den Mund streifen. Oh – was war das? Brian spuckte sie gleich wieder aus. Sie schmeckten abscheulich. Bitter waren sie eigentlich nicht, aber sie hatten einen dumpfen, trockenen Geschmack, der ein pelziges Gefühl auf der Zunge hinterließ. Außerdem hatten sie große Kerne, ähnlich wie Kirschen, so dass man sie schlecht kauen konnte. Brian war ratlos. Schließlich siegte sein Hunger. Mit beiden Händen stopfte er sich diese komischen Beeren in den Mund und verschlang sie – samt Stängeln und Kernen.
    Bald konnte er gar nicht mehr aufhören. Auch als er glaubte, sein Bauch würde platzen, hatte er noch immer ein Hungergefühl. Vielleicht war es aber besser, nicht noch mehr zu essen. Andererseits, so überlegte Brian, konnten die Vögel wiederkommen und alle Beeren auffressen. Darum beschloss er einen kleinen Vorrat zum Lagerplatz mitzunehmen. Rasch verknotete er seinen zerschlissenen Anorak zu einem Beutel und sammelte

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