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Allein in der Wildnis

Allein in der Wildnis

Titel: Allein in der Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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hinweg. Jetzt stand der schwarze Trichter der Windhose über dem See. Brian hörte das saugende Tosen des Wassers. Er sah mächtige Wellen übereinanderstürzen, von allen Seiten, und dann sah er das Wasser in einer glitzernden, kreiselnden Säule zum Himmel steigen. Ein schreckliches Schauspiel – aber auch von wilder Schönheit.
    Die Windhose hatte das gegenüberliegende Ufer erreicht.
    Brian hörte das Splittern umstürzender Bäume. Dann war der Sturm vorüber, so schnell, wie er gekommen war. Windstille herrschte und nichts war geblieben. Nur Brian, in stockdunkler Nacht. Von seiner Schutzhütte war nichts übrig, sein Feuer war ausgelöscht, sein Werkzeug und sein Bett waren verschwunden, und auch der Vogel, den er erlegt hatte, blieb unauffindbar.
    Ich stehe wieder vor dem Nichts!, dachte er, hilflos im Dunkeln umhertastend. Wie in der ersten Nacht, nach dem Absturz des Flugzeugs. Verletzt, in fremder Dunkelheit, ohne Obdach und Nahrung.
    Um das Maß der Verzweiflung vollzumachen, kehrten auch die Moskitos zurück – jetzt, wo das schützende Feuer erloschen war und der Rauch sie nicht mehr abschreckte. In dichten Wolken umschwirrten sie ihn und verstopften ihm Mund und Nase.
    Nur das Beil hing noch an seinem Gürtel, wie in der ersten Nacht.
    Jetzt aber fing es an zu regnen und nach einem solchen Wolkenbruch würde er kein trockenes Holz finden, um ein neues Feuer zu entfachen. Zitternd vor Kälte schleppte Brian seinen zerschlagenen Körper unter die Felshöhlung, dorthin, wo sein Bett gewesen war, und schlang die Arme um seine schmerzenden Rippen.
    Der Schlaf wollte nicht kommen, da die Insekten ihn plagten. Den Rest der Nacht lag er wach, Hunderte von Moskitos auf seiner Haut zerquetschend, während seine Gedanken bei diesem Unglückstag verweilten. Am Vormittag hatte noch die Sonne geschienen. Es ging ihm gut, er lebte beinahe im Überfluss, glücklich und unbesorgt. Er hatte gute Waffen für die Jagd, genügend zu essen und Hoffnung für die Zukunft. Ein einziger Tag hatte alles zunichtegemacht: Ein Elch hatte ihn zertrampelt und ein Tornado war über ihn hinweggegangen. Er hatte alles verloren.
    Einfach so. Das Schicksal hatte gewürfelt und Brian war der Verlierer.
    Und doch gibt es einen Unterschied!, dachte er. Einen wichtigen Unterschied. Diesmal hatte er vielleicht verloren, aber er wollte nicht aufgeben. Beim ersten Tageslicht würde er anfangen alles wieder aufzubauen. Er hatte noch immer sein Beil – nicht mehr und nicht weniger als am ersten Tag.
    Na, komm schon, du unsichtbarer Feind!, knurrte Brian und biss die Zähne zusammen. Komm schon, verhöhnte er sein unbegreifliches Schicksal: Ist das alles, was du mir anhaben kannst? Ein Elch und ein kleiner Tornado?
    Na, dachte er und rieb sich die Rippen und grinste. Und spuckte eine klebrige Mücke aus. Das war nicht genug, um ihn unterzukriegen. Und dies war der große Unterschied! Brian hatte sich verändert. Er hatte gelernt um sein Leben zu kämpfen. Kalter Zorn packte ihn, tief im Inneren. Und auch dies war neu, die kalte Entschlossenheit.
    Endlich, kurz vor Anbruch der Dämmerung, verzogen sich die Moskitos ins feuchte Gras und unter das Laub der Bäume und Brian fand endlich Schlaf. Oder wenigstens einen leichten Schlummer. Ein letzter Gedanke beflügelte ihn an diesem Morgen, bevor er die Augen schloss:
    Hoffentlich hatte der Tornado die Elchkuh erwischt.
    Brian erwachte schweißgebadet, in glühender Hitze. Die Sonne stand hoch am Himmel und strahlte ihm direkt ins Gesicht. Er hatte mit offenem Mund geschlafen, seine Zunge war ausgedörrt und schmeckte nach alten Socken.
    Als er sich auf die Seite wälzte, brüllte er auf vor Schmerz. Das fiebrige Pochen hatte sich über Nacht an einer Stelle unter der Schulter zusammengezogen und bohrte zwischen den Rippen. Mit langsamen Bewegungen stand er vorsichtig auf, ohne die Arme unnötig zu bewegen, und schleppte sich zum Trinken an den See. Am Ufer kniete er nieder, vorsichtig und behutsam, trank und spülte sich den Mund. Sein Fischbecken war immer noch da, die Mauer aus Steinen unbeschädigt, aber die Reusenklappe aus Weidengeflecht war verschwunden und es gab keine Fische mehr. Sie werden wiederkommen!, dachte Brian. Er würde sich einen neuen Speer, einen neuen Bogen machen. Dann konnte er ein paar kleinere Fische als Köder fangen, um die anderen anzulocken.
    Als er sich nach seiner Schutzhütte umschaute, sah er, dass Stangen und Flechtwerk der Reisigwand am Ufer verstreut lagen. Und

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