Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
– «Hm, und wie finde ich die Leute?» – «Ganz einfach. Du schreibst deine gewünschten Reisedaten und die Route hier in dieses Buch und hängst am besten noch einen Zettel an das schwarze Brett da draußen. Gib deine E-Mail-Adresse an oder, falls du hast, die Handynummer. Es werden sich sicher bald Leute melden.» – «Und was macht die Agentur?» – «Wir vermieten den Jeep und besorgen die Permits. Ist das nicht genug?»
Ich finde zwar, dafür, dass er so viel Geld kassiert, könnte sich König Dorje etwas mehr ins Zeug legen, aber selbstverständlich tue ich, was er mir aufgetragen hat. So einfach ist es dann doch nicht. Jedenfalls meldet sich in den nächsten zwei Tagen niemand, den ich für die letzte Etappe auf der 318 gebrauchen kann. So wird für mich der Backpackerladen Banak Shol der Lebensmittelpunkt. Morgens schaue ich in der Kladde nach, ob es neue Interessenten für meine Tour gibt, und überprüfe, ob mein Zettel noch am schwarzen Brett hängt, abends das Gleiche. Zweimal am Tag kontrolliere ich auch meine E-Mails im Internetcafé um die Ecke. Eigentlich könnte ich auch gleich im Banak Shol wohnen, aber nach zweieinhalb Monaten unterwegs nehme ich Entbehrungen nur noch auf mich, wenn es wirklich sein muss. Und im Banak Shol zu wohnen bedeutet Entbehrung erster Klasse. Ich habe mir die Zimmer angeguckt. Sie sind eng, dunkel und schmutzig. «Und ab und zu», erzählt mir eine Engländerin, die ich vor Dorjes Büro treffe, «laufen Ratten über die Betten.»
Deshalb komme ich lieber jeden Tag aus dem hübschen Ramoche Grand Hotel herüber und treffe die Leute, die an meiner Tour interessiert sind, im Dachterrassenrestaurant des Banak Shol, dem Nam Tso. Hier macht man mit bunten Tüchern, Patschuli und plätschernder Sitarmusik eher einen auf Indisch als auf Tibetisch. Den Backpackern scheint das besser zu gefallen, weil sie offenbar nur eine ganz bestimmte Vorstellung von Exotik haben, der sich die Wirklichkeit dann mit der Zeit fügt. Das gilt auch für die Speisekarte. Im Nam Tso werden Yak-Burger serviert, Käseomelett und Chicken Sizzler, und auf der Seite mit den «Middle Eastern Specialities» steht interessanterweise «Snitzel». Wem das nicht bekommt, der kann sich aus einer Kiste mit von Travellern gespendeten Medikamenten, die auf dem Tresen stehen, frei bedienen, allerdings auf eigenes Risiko. «Any side effects – wrong medication, the restaurant is not responsible», heißt es auf einem Zettel.
Ich brauche keine Medikamente, denn ich habe einen stabilen Magen. Und weil auch ich ein Westler bin, schmecken mir ein paar der für westliche Backpackergaumen kreierten Speisen ausgesprochen gut, besonders der Chicken Sizzler. Die Treffen mit den Leuten, die sich auf meine Anzeige melden, laufen leider nicht so erfreulich. Die Ersten sind zwei chinesische Studentinnen aus Kanton. Ich würde gerne gemeinsam mit ihnen fahren. Doch die Studentinnen sind schockiert, als sie hören, wie viel der Jeep bei König Dorje kostet. Sie haben ein viel günstigeres Angebot. «Das muss daran liegen», versuche ich mir und ihnen zu erklären, «dass ihr eure Agentur frei wählen könnt. Ich aber muss bei einer Ausländeragentur buchen.» Das haben sie nicht gewusst, genauso wie sie noch nie etwas von den Permits für Ausländer gehört haben. Leider wird es nichts mit uns dreien.
So verbringe ich einen Großteil meiner Zeit in Lhasa im Nam Tso, in König Dorjes Agentur und in Internetcafés. Dazwischen bleibt mir allerdings immer noch genügend Zeit, mir die Stadt anzusehen. Sie ist eine kleine Enttäuschung, was sicher auch an meiner Erwartung liegt. Natürlich war mir bereits vorher klar, dass Lhasa nicht mehr dieselbe Stadt ist wie noch zu Zeiten von Alexandra David-Néel oder Heinrich Harrer, der hier in den vierziger und fünfziger Jahren war. Seitdem ist Lhasa immerhin von rund 25 000 auf 240 000 Einwohner gewachsen, die Stadt hat einen Flughafen, neuerdings auch einen Bahnhof und ist an das Straßennetz angeschlossen. Doch gegen die exotischen Bilder, die sich irgendwann in meiner frühesten Jugend in meinem Unterbewusstsein eingebrannt haben müssen, ist schwer etwas zu machen.
Dabei ist Lhasa eigentlich nur das passiert, was vielen historisch geprägten Städten im Laufe der Zeit passiert ist: Sie wurde verfußgängerzonisiert. Der wichtigste Tempel in Lhasa, der Jokhang, steht in der hauptsächlich von Tibetern bewohnten und aus grauen Feldsteinen errichteten Altstadt. Der Platz vor dem
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