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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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kann man fragen, wie lange es diesmal dauert?» König Dorje grinst noch breiter: «Niemanden!»
    Das ist ein harter Schlag. Ich habe wirklich weder Zeit noch Lust, wochenlang in Lhasa zu bleiben und zu warten. Trotzdem stecken Christian und ich erst mal nicht auf, sondern fragen noch in einem zweiten F.I.T.-Büro. Doch auch hier gibt es dieselben Informationen. «Schaut doch mal ins Internet», rät man uns hier immerhin, als wir nach dem Grund der Schließung fragen. Inzwischen habe ich bereits eine Ahnung. Am Morgen hatte ich auf dem riesigen Platz vor dem Potala eine große Feier beobachtet. Rund zweitausend Schüler und Studenten in Trainingsanzügen waren hier versammelt. Erst war mir nicht klar, worum es ging, doch dann bildeten die Versammelten plötzlich mit ihren Körpern die Zahl 2008, wozu ein Redner «Jia You! Jia You!» schrie. Das ist der chinesische Anfeuerungsruf bei Sportveranstaltungen. Natürlich, fiel mir ein, heute ist der 8. August, und genau in einem Jahr werden die Olympischen Spiele in Peking beginnen. In der Hauptstadt würde deshalb am Abend auf dem Platz des Himmlischen Friedens eine große Olympiacountdown-Feier stattfinden, und das, was ich gesehen hatte, war der Beitrag Lhasas dazu.
    Für dieses symbolträchtige Datum aber hatten auch die Free-Tibet-Leute neue Aktionen angekündigt. Und tatsächlich bestätigt mir ein kurzer Blick ins Internet, dass ein paar kanadische Studenten an der Großen Mauer ein Bettlaken aufgehängt haben, auf dem sie wegen der chinesischen Tibetpolitik den Boykott der Olympischen Spiele fordern. Die Sperrung des Everest und der Grenze ist also offensichtlich eine Reaktion auf diese Aktion. Nur: Was soll das? Ich kapiere zwar, dass die chinesische Regierung verhindern will, dass auf dem Everest wieder Ähnliches passiert. Was ich aber nicht begreife: Wieso ist die Grenze auch für Ausreisende dicht? Und weshalb kann mir keiner sagen, wie lange diese ganze Sperrung dauert? Und warum darf ich, verdammt nochmal, nicht auf den Everest, wo ich doch allenthalben als Dalai-Lama-Gegner und großer Freund des chinesischen Volkes bekannt bin? Die Sperrung der Grenze bringt jedenfalls bei mir das Fass zum Überlaufen. Ich beschließe, noch maximal drei Tage in dieser Stadt zu warten. Sollte danach die Straße nicht wieder offen sein, war’s das. Dann gebe ich auf und fliege zurück nach Peking. Ich muss die 318 nicht auf Biegen und Brechen zu Ende bringen.

    Erst einmal gehe ich aber am nächsten Morgen wieder zu König Dorje, um zusammen mit Christian die Lage auszuchecken. Auf dem Hof vor dem F.I.T.-Büro läuft uns Jean über den Weg, ein älterer Franzose mit rotem, zerfurchtem Gesicht, ein Maler, der in Nepal lebt, in der Nähe von Kathmandu. Auch er kann nicht fassen, dass die Grenzen dicht sind. «Ich wollte nur einen kleinen Ausflug nach Tibet machen und jetzt das. Ich hab genug von Lhasa. Ich will sofort wieder zurück.» Das ist eine Aussage nach unserem Geschmack, und sofort nehmen Christian und ich ihn in unser Team auf. Wer weiß, wofür man unterwegs noch einen Maler braucht. Außerdem scheint er für einen Franzosen sehr liberal zu sein. «Wenn ihr meinen Namen nicht aussprechen könnt», meint Jean großzügig, «dann nennt mich einfach ‹John›.»
    Nun sind wir schon zu dritt, und König Dorje grinst nochmal eine Nummer breiter, als wir zu ihm reingedackelt kommen. Der Mann hat wirklich immer erschreckend gute Laune. Doch heute gibt es wenigstens einen Grund: «Die Grenze», verkündet der König, «ist seit heute Morgen wieder offen. Und der Everest auch.» Uns fällt ein Stein vom Herzen, so groß wie der Potala, und wir treten sofort in die Jeep-Verhandlungen ein. «Everest Base Camp und nepalesische Grenze?», fragt unser König, um dann zu verkünden: «Das macht zusammen siebentausendneunhundert Kuai.» – «Aber als ich vor ein paar Tagen gefragt habe», gebe ich kleinlaut zurück, «waren es noch siebentausendfünfhundert Kuai.» Dorje grinst: «Wie gesagt, das war vor ein paar Tagen. Aber ihr könnt natürlich noch ein bisschen warten. Dann kostet es vielleicht schon wieder ein bisschen mehr.»
    Warten ist allerdings das Letzte, was wir wollen, zumal es nicht gleich morgen losgeht. «Wenn ihr heute bucht, fahrt ihr frühestens übermorgen los», verkündet Dorje. «So lange braucht die Polizei für die Permits.» Also unterschreiben wir, dieses Mal sogar so etwas wie einen echten Vertrag. Wegen des hohen Preises würden wir gerne noch einen

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