Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
kann. Es ist sehr ruhig und friedlich in dem Garten, denn nach hier oben dringt kaum ein Geräusch aus der Stadt. Nur ringsherum im Wald schreien seltsame Vögel. Eine Sorte klingt wie ein pfeifender Wasserkessel, der allerdings den Dampf nicht ausstößt, sondern ansaugt. Dann folgt ein langer Triller. Eine andere Art gibt ein widerliches Lachen von sich. Und in einem mit Entengrütze bedeckten Teich schwimmen ein paar Schildkröten, die schnell wegtauchen, als ich mich über eine kleine Brücke dem Buddha nähere.
Sein Anblick macht mir mit einem Mal ein schlechtes Gewissen, und angesichts der Abgeschiedenheit des Ortes kommt mir eine Idee. Wie wäre es, wenn ich mich bei Buddha für meinen kulturrevolutionären Ausfall auf Jiu Hua Shan förmlich entschuldigte? Hier sieht es ja keiner. Außerdem liegen auf dem Altar ein paar nicht abgebrannte Räucherstäbchen, das kann kein Zufall sein. Schaden, denke ich, kann es nicht. Ich zünde also drei von den Stäbchen an, nehme sie zwischen meine gefalteten Hände und verbeuge mich je dreimal in jede Himmelsrichtung. Nach Süden tue ich es besonders schmissig. Sofort brennt irgendetwas teuflisch in meinem Nacken. Es muss die Spitze des glühenden Räucherstäbchens sein, die durch den Verbeugungsschwung dorthin geflogen ist. «Okay, Buddha», murmele ich. «Ich hab’s versucht. Aber das wird nichts mehr mit uns in diesem Leben.»
Beim Verlassen des Gartens höre ich etwas rascheln und sehe dann, wie eine lange, schwarzglänzende Schlange im Schilf verschwindet. Ich beschleunige meinen Schritt, da erklingt hinter mir ein lautes, widerliches Lachen. Einer dieser Vögel scheint sich über mich lustig zu machen. Ich bin froh, als ich wieder unten in der Stadt bin, unter Menschen. Ich winke sogar einer ondulierten Frau zu, die mir über die Straße hinweg den ersten halbwegs vollständigen englischen Satz in dieser Stadt zuruft: «Hello, come here!» Ich will der Aufforderung gerade Folge leisten, da merke ich, dass sie in der Tür eines Massagesalons steht.
Der zweite Mensch, der in Yingshan mit mir spricht, benutzt sogar zwei deutsche Wörter. Es ist ein sonnenbebrillter Mopedfahrer, der auf dem Bürgersteig fährt, weil die Straße wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Als er mich sieht, steigt er sofort ab und gibt mir die Hand wie einem alten Bekannten: «Aus welchem Land kommst du?» – «Tugendland», antworte ich wie immer ehrlich. Da reißt der Mann den rechten Arm hoch und ruft freudestrahlend: «Cheil Xitele.» Auch wenn man das kaum versteht, soll das «Heil Hitler» heißen. Ich zeige ihm instinktiv einen Vogel. Das ist vielleicht nicht besonders schlau, denn damit, so habe ich gelesen, bescheinigt man in China seinem Gegenüber besondere Intelligenz.
Der Hitlergruß kommt für mich nicht völlig aus blauem Himmel. In Peking bin ich letztes Jahr mal in eine Veranstaltung von Uniformfetischisten geraten, auf der neben Ausgehuniformen der Roten Armee, der NVA, der Bundeswehr und des KGB auch die der Waffen-SS und Wehrmacht getragen wurden. Eine gespenstische Versammlung, vor allem, weil gerade die deutschen Uniformen aus ihren Trägern Deutsche zu machen schienen.
Auch von anderer Seite hatte ich schon gehört, dass der berühmteste Deutsche aller Zeiten bei einigen Chinesen in hohem Ansehen steht. Woher diese Faszination kommt, ist allerdings nicht klar. Ich hoffe aber sehr, dass man das «Heil Hitler»-Gebrüll nur praktiziert, weil man es absurd und lustig findet.
Trotzdem habe ich für heute genug. Eine Schlange, ein glühendes Räucherstäbchen und jetzt das! Wenn ich Hitlergrüßer sehen will, dann fahre ich nach Mecklenburg-Vorpommern und nicht ins Landesinnere von China. Und auch wenn ich offiziell gar nicht danach gesucht habe, bin ich doch ein wenig enttäuscht, weil ich im ganzen Ort keine Spur von dem Drucker Bi Sheng gefunden habe. Aber was hatte ich mir auch erhofft? Dass ich auf der Straße einen Brief von irgendwelchen Portugiesen auflese, in dem steht: «Lieber Herr Bi Sheng, wir machen Ihnen ein Angebot, das Sie nicht abschlagen sollten»? Na, wenigstens hätten sie ihm ein Denkmal errichten oder eine Karaokebar nach ihm benennen können.
Nach diesem Tag kann ich wirklich etwas Entspannung vertragen. Ich habe in meinem Hotel einen Massagesalon gesehen und überlege, ob ich mich da mal richtig durchkneten lasse. Allerdings ist der Besuch einer Massageeinrichtung in China auch mit einem gewissen Risiko verbunden. Ein chinesischer Freund erzählte
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