Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
bevor sie wieder auf meinen Oberschenkeln sitzt und wuchtet. «Okay, Dongmei», sage ich entschlossen in die Stille, «das war’s.» Sie seufzt noch einmal tief und sieht mich mit großen Augen an. «Können wir hier noch ein bisschen sitzen bleiben?», fragt sie schließlich kleinlaut. Ich verstehe. Es sind erst fünfundzwanzig Minuten rum, und wenn wir jetzt nach draußen gehen, denkt Brilli an der Rezeption, ich sei nicht zufrieden. Also sitzen wir – ich auf meiner Massageliege, Dongmei auf der Liege gegenüber –, und keiner weiß, was er jetzt machen soll. «Magst du chinesische Mädchen?», fragt Dongmei plötzlich. – «Sicher, meine Frau ist Chinesin.» Ich hole meine Brieftasche raus und zeige ihr das Foto. «Sie ist sehr schön!», ruft Dongmei aus und schlägt sich die Hände verlegen vors Gesicht. Dabei sieht sie gar nicht mehr zum Fürchten aus, sondern nur noch wie ein sanftes, trauriges, etwas zu groß geratenes Provinzmädchen.
Ich will sie irgendwie trösten und sage: «Du bist auch schön.» – «Nein», protestiert sie und greift nach einem Kissen, «ich bin fett.» Sie presst sich das Kissen vor den Bauch und starrt an mir vorbei ins Leere. Ich würde jetzt wirklich gerne gehen, aber ich kann ja nicht, weil draußen Brilli lauert. Also sitze ich weiter da wie festgenagelt, starre die Wand an, grinse ab und zu mal zu Dongmei hinüber und schweige, schweige, schweige. Dongmei schweigt auch. Schließlich, nach hundertzwanzig Ewigkeiten, mache ich der Pein ein Ende: «Dongmei, ich will bezahlen.» Sie nickt sofort, und gemeinsam gehen wir zur Rezeption. Ich zahle umgerechnet drei Euro achtzig, und Brilli fragt, ob ich zufrieden war. «Ja», sage ich, «die Massage war ausgezeichnet.» Ich fühle mich tatsächlich ganz erleichtert und entspannt, fast wie neugeboren. Denn das Wichtigste ist doch: An mir ist noch alles dran, und ich schmore nicht im Gefängnis.
Ich habe plötzlich sehr großen Hunger. Also gehe ich auf den Nachtmarkt an der Kreuzung vor dem Hotel. Ich bestelle mir eine Nudelsuppe und gegrillte Fische. Ich löffele gerade die Suppe in mich hinein und frage mich dabei, wie wohl normalerweise eine Massagesession von Dongmei aussieht, da knufft mich jemand in die Seite. Es ist meine üppig geformte Tischnachbarin, die mich auch gleich anspricht: «Ausländer, erkennst du mich wieder?» Ich überlege. Wie viele üppig geformte Frauen mit ondulierten und gefärbten Haaren kenne ich in der Provinz Hubei? Natürlich, das muss die Hello-Masseuse vom Nachmittag sein. Sie hat ein junges Mädchen im Schlepptau, das mit an ihrem Tisch sitzt und ohne Unterbrechung telefoniert. Sie ist höchstens siebzehn oder achtzehn, hat ein einfältiges Gesicht, aber eine teure Handtasche. «Klar kenne ich dich», sage ich. «Von da oben.» Die Antwort freut die Hello-Ondulierte, und sie lächelt mich breit an. Dann deutet sie mit einer Kopfbewegung auf das Mädchen und zwinkert mehrmals heftig. Heißen soll das wohl: «Für das entsprechende Kleingeld kannste die haben.» Ich bin nun doch etwas erschüttert. Mensch, Yingshaner, in eurer Stadt wurde der Druck erfunden und nicht der Puff.
Shoppen in Deutsch-China
Der Held trifft überraschend eine junge hübsche Frau, die ihn verhext, damit er mit ihr shoppen geht und shoppen und shoppen. Außerdem spielen in diesem Kapitel Maos kirschrote Slipper, Punk, Heroin, Angela Merkel, die nepalesischen Maoisten und Willi, das Kampfschwein, eine gewisse Rolle.
In der Nacht träume ich, dass ich dem Hitlergrüßer im perfekten Chinesisch sage: «Hey, darauf haben wir Deutschen das Copyright. Wenn du das noch einmal machst, musst du bezahlen.» Er lässt sofort den Arm sinken. Meine Begegnung mit Bi Sheng am nächsten Morgen dagegen ist kein Traum. Ich sitze schon im Bus, da sehe ich eine kleine Skulptur am Ortsende von Yingshan, auf einer Verkehrsinsel an der Ausfallstraße. Es muss der Drucker sein, denn er hält so etwas wie Druckfahnen in der Hand. Er ist also doch nicht komplett vergessen. Der Bus fährt wieder auf die Autobahn, durch eine eher eintönige Wasser-Hügel-Wasser-Hügel-Landschaft. Zwei Stunden später stehe ich auf dem Busbahnhof von Wuhan, der Hauptstadt von Hubei.
Das schreibt sich so einfach hin, aber tatsächlich weiß ich gar nicht, wo ich bin. Ich weiß nur: Wuhan hat zehn Millionen Einwohner, ist dreizehnmal größer als der ganze Staat Singapur und besteht eigentlich aus drei 1927 verschmolzenen Städten, die Wuchang, Hankou und Hanyang
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