Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Konzession? Es scheint fast so. Mitten in Hankou stoße ich auf eine prächtige weiße Gründerzeitvilla, auf der die deutsche Fahne flattert. Das muss mindestens das deutsche Konsulat sein. Seltsam ist nur, dass in blauen Neonbuchstaben «Café Brussels» dransteht und neben der deutschen auch noch die belgische Fahne weht. Ich bekomme ja vieles nicht mit, seitdem ich in China lebe. Aber sind jetzt auch schon Deutschland und Belgien wiedervereinigt worden?
In Wuhan ganz sicher: Das Konsulat ist ein Restaurant, das der belgische Wirt David führt, während Hans, der Deutsche, unter demselben Dach eine Mikrobrauerei betreibt. Allerdings hat sich der Belgier bei der Innenausstattung durchgesetzt: Die Wände sind mit Tim-und-Struppi-Malerei bedeckt, und überall stehen kleine Manneken Pis herum, eine Figur, die seltsamerweise auch die Chinesen über alles lieben und als «Piss-Boy» millionenfach kopieren. Selbst Davids deutlich gerundeter Bauch ist belgisch okkupiert: mit einem T-Shirt, auf dem die Logos belgischer Biersorten prangen. Dafür spricht der Wirt, der mit seinem Rauschebart als vierter Mann bei ZZ Top durchgehen könnte, gut Deutsch. Außerdem ist er der Cousin des ehemaligen belgischen Fußballnationalspielers Marc Wilmots, was ihn praktisch zu einem halben Deutschen macht. Wilmots, das weiß sogar ein alter Fußballignorant wie ich, spielte einst bei Schalke, wo man ihn «Willy, das Kampfschwein» nannte.
Allerdings ist Hans, der deutsche Brauer, nicht da. «Er arbeitet nur jede zweite Woche», erzählt mir David. Mir ist das egal, auch mit David lässt es sich gut plaudern, und seine Expatgeschichte ist interessant. «Ich bin im Jahr 2000 als Krankenpfleger nach China gekommen, mit einem der ersten Aids-Präventionsprogramme. Wir haben hier Krankenschwestern ausgebildet. Dann ist das Programm ausgelaufen, und ich bin Wirt geworden.» Sein erstes Lokal stand dort, wo jetzt der Jangtse-Tunnel gebaut wird. «Ist gerade abgerissen worden. Seit einem Monat habe ich das Brussels. Früher war es die Villa eines russischen Generals und stand in der russischen Konzession.»
Der Laden ist Treffpunkt der Ausländer in Wuhan. David kennt die meisten. «Ich schätze mal, dass wir so um die fünftausend hier haben. Viele Deutsche. Einmal die, die an der Schnellbahntrasse nach Guangzhou bauen. Dann die vom Kaltwalzwerk und schließlich die Ingenieure vom Jangtse-Tunnel. Ach so, die Leute, die die neue Oper bauen, hätte ich fast vergessen. Die meisten kommen aber bloß am Wochenende her.» Heute ist Mittwoch, und die Gäste tröpfeln nur: zwei Schotten, die auch an der Theke Platz nehmen und sich voller Vorfreude die Hände reiben, als sie «Blood Sausage» auf der Speisekarte entdecken, der Deutsche Stephan, Ex-Wuhaner und Generalmanager einer deutsch-chinesischen Elektrofirma, der aber nur zu Besuch ist, weil er mittlerweile in Peking lebt, und schließlich Ahmed. «Unser deutscher Türke», stellt David ihn vor, und Ahmed sagt zu mir: «Siegen.»
Ich verstehe nicht sofort, bis Ahmed wiederholt: «Ich glaube, du kommst aus Siegen.» – «Nein», sage ich, «aber mein Vater ist dort geboren.» – «Siehste», sagt Ahmed, «habe ich doch gewusst.» Er selbst ist in Solingen aufgewachsen, weshalb er auch mit bergischem Akzent spricht. Jetzt wohnt er schon eine Weile in Wuhan, wo er seine eigene Hitzeschutztechnik-Firma betreibt. In China ist er aus ähnlichen Gründen wie ich: «Hier lässt es sich besser leben. Und ich bin mit einer Chinesin zusammen.» Aber Ahmed hat mir auch etwas voraus. Er kann lesen. «Ist schwer, das Ganze. Ist keine Systematik drin. Aber ich kann schon dreihundertfünfzig Zeichen.» Das versetzt mir einen kleinen Stich. Überhaupt bin ich neidisch auf jeden Ausländer hierzulande, der besser Chinesisch kann als ich. Trotzdem wird es ein schöner Abend. David und Ahmed erzählen sich Witze. Der Belgier auf Englisch und der Türke auf Deutsch. Es sind nicht die allerbesten, doch ich freue mich, dass ich alles verstehe und die Leute endlich mal wieder über etwas anderes lachen als über mich. Am Ende bin ich rechtschaffen betrunken. Es ist ein kleines Mysterium: In China komme ich fast immer betrunken aus Ausländerbars, obwohl das Bier hier viermal so viel kostet wie in den chinesischen Restaurants, die ich regelmäßig nüchtern verlasse. Der Anblick von Ausländern in einem kneipenähnlichen Ambiente löst bei mir offenbar einen Trinkreflex aus. Eine Konditionierung, die ich sicher in
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