Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
mein Zimmer und sagt: «Hallo, ich wollte dir bei deiner Wäsche helfen.» Ich bin so perplex, dass ich ihr ein paar Hemden gebe. «Danke», sagt sie. «Ich bin bald zurück.» Okay. Natürlich habe ich die Frau schon vorher getroffen. Ihr englischer Name ist Linda, und ich habe sie vor zwei Tagen kennengelernt, nachdem ich mich an der Rezeption des Hotels nach Zimmern erkundigt hatte. Ich wollte noch wissen, wie ich mit dem Bus zurück nach Wuchang komme, da stand sie plötzlich neben mir und bot mir auf Englisch ihre Hilfe an. Sie zeigte mir dann den Bus nicht nur, sondern stieg sogar mit ein und brachte mich an der Umsteigestation zu meinem Anschluss. Hier zwang sie mir noch zwei Yuan Fahrgeld auf und gab mir ihre Handynummer: «Wenn du wieder Hilfe brauchst, ruf mich an.»
Mir fiel zunächst nichts ein, worum ich Linda bitten könnte. Doch dann dachte ich an meine Wäsche, an die Schachteln in Anqing und daran, dass eine Chinesin sicher bessere Wäschereiconnections hat als ich. Ich fragte sie also per SMS nach einer preiswerten Reinigung. Dass sie selbst kommen würde, um mir die Wäsche persönlich zu waschen, damit habe ich nicht im Traum gerechnet. Woher weiß sie überhaupt, wo ich wohne? Und wo ist sie jetzt mit meiner Wäsche hin? Ich will sie danach fragen, als sie nach einer Stunde wiederkommt. Aber erst mal hängen wir zusammen die klatschnassen Hemden im Badezimmer auf. Dann nimmt sie ihre Waschschüssel in die Hand: «Ich bringe die nur schnell zurück. Bin gleich wieder da.» Als Linda sich nach einer halben Stunde immer noch nicht blicken lässt, schreibe ich ihr eine SMS. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. «Ich bin schon gegangen.» Na gut, dann lade ich sie halt zum Dank fürs Waschen zum Essen ein. Doch die seltsame Wäschefee will keinen Dank. «Oh, that’s allright», schreibt sie zurück, «you should do yourself thing.»
Ich bin etwas enttäuscht. Linda ist die erste Chinesin auf der Reise, die etwas für mich getan hat, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen. Natürlich würde ich gern mehr über sie erfahren. Aber wenn sie nicht will, mache ich eben mein Yourself-Ding. Gut, dass es für diese Zehnmillionenstadt hier Reiseführer gibt, die ich lesen kann, eine englischsprachige Karte habe ich mittlerweile auch. So entfallen stundenlanges Suchen und zielloses Umherwandern. Brav besichtige ich im Provinzmuseum ein zweitausendvierhundert Jahre altes Glockenspiel, den berühmten Gelben Kranichturm («No. 1 tower among all the landscapes») und die malerische Qin-Terrasse, wo man angeblich den berühmten Zitherspieler Yu Boya aus dem 5. oder 6. vorchristlichen Jahrhundert Zither spielen hören kann, wenn man sich bloß auf einen bestimmten steinernen Hocker setzt. Ich spüre zwar den unter einem Kissen verborgenen Knopf am Hintern, der das Band in Betrieb setzt, doch leider tut sich nichts. Wahrscheinlich ist die über zweitausend Jahre alte Aufnahme während der Kulturrevolution verschüttgegangen.
Der wichtigste Punkt auf meiner Sightseeing-Liste aber ist die Mao-Villa, in der Mao hauptsächlich im Sommer weilte und berühmte Gedichte schrieb. Ich würde gerne wissen, wie der Mann gelebt hat, der zu meiner Jugend gehörte wie zu anderen Jugenden der VW Golf. Mein Frommer’s verspricht mir tolle Details: Neben einem Pool von «exzessiver Größe», kirschroten Hausschuhen und Maos persönlichem Blutdruckmessgerät soll man auch die Schuhsammlung von Maos vierter Frau Jiang Qing besichtigen können. Die Wegbeschreibung im aktuellen Lonely Planet ist eindeutig: Die Villa liegt hinter dem Provinzmuseum, direkt am Ost-See, «ein bukolisches Versteck». Trotzdem ist diese nicht unbedeutende Touristenattraktion weder auf meinen beiden Stadtplänen verzeichnet noch ausgeschildert.
Also frage ich die Leute in der Nähe des Provinzmuseums nach der Villa. Die ersten drei machen ein Gesicht, als hörten sie den Namen Mao Tse-tung zum ersten Mal. Selbst ein Polizist hat keine Ahnung. Nur ein paar alte Leute meinen zu wissen, wo die Villa liegt, aber sie schicken mich immer wieder in unterschiedliche Richtungen. Nach zweistündigem Herumirren stehe ich trotzdem am Ende eines Dammes, der zu einer kleinen Insel im Ost-See führt, vor einem verschlossenen Tor. Ein altes Hinweisschild mit Schriftzeichen liegt halb versunken im Wasser. «Maos Villa?», frage ich einen in der Nähe stehenden Angler. Der bricht in ein Gelächter aus, das irgendwie zynisch klingt, und zeigt auf das Schild im
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