Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
ungezählten deutschen Kneipen erworben habe.
Diesmal aber hat sich meine Trinkerei gelohnt. Am Ende des Abends verrät mir David, wo ich die Vox-Bar finden kann: ziemlich weit draußen im Univiertel von Wuchang. Doch er warnt mich: «Ein finsterer Schuppen. Die müssen dauernd umziehen, wegen der Polizei. Ich habe gehört, dass dort auch harte Drogen am Start sind.» Drogen? Das finde ich gerade interessant. Doch unter diesen Umständen muss ein Besuch dort etwas sorgfältiger geplant werden.
Vorher habe ich aber noch etwas zu erledigen. Die mysteriöse Linda hat sich wieder gemeldet, per SMS. Inzwischen ist sie auch einem gemeinsamen Abendessen nicht mehr abgeneigt. Allerdings ist es schwer, einen konkreten Termin mit ihr auszumachen. Jedes Mal vertröstet sie mich auf den nächsten Tag. Irgendwann reicht mir das Rumgezicke. Ich behaupte einfach, dass ich am nächsten Tag abreisen werde und nur noch heute kann. Von da an prasselt es SMS. Sie fragt mich, wohin wir gehen werden. Ich antworte, dass ich ihr die Entscheidung überlasse, weil ich mich in der Wuhaner Gourmetszene nicht auskenne. Sie fragt, welche Art der Küche – die westliche oder die richtige – ich bevorzuge. Ich antworte natürlich: «Chinesisch.» Sie fragt, ob sie auch eine Freundin mitbringen darf. Ich denke nicht weiter nach und antworte mit: «Ja, natürlich.» Da sagt sie endlich ja und schlägt auch gleich ein Restaurant in Hankou vor.
Erst bin ich gut gelaunt, doch dann kommen mir Bedenken. Ging das am Ende nicht doch eine Idee zu schnell? Vor allem die Sache mit der plötzlich aufgetauchten Freundin ist verdächtig. Wahrscheinlich arbeitet Linda doch wie die Girls auf der Nanjing Lu in Shanghai, nur eben halt viel raffinierter. Ich bin mir schon völlig sicher, dass sie das Treffen und das Waschen nur eingefädelt hat, um mich am Ende umso gründlicher über den Tisch zu ziehen, da erreicht mich eine letzte SMS: «Hi Chris. How much should I bring? We go out to eat, how to pay for?» Ich schäme mich ein bisschen für meinen Verdacht und antworte: «Ich zahle, wenn es nicht sehr, sehr teuer ist.» Kaum habe ich die SMS abgeschickt, da klopft es auch schon an meiner Zimmertür. Dieses Mal frage ich sofort, wie sie das gemacht hat. Sie versteht erst nicht, dann muss sie lachen. «Aber ich arbeite doch hier im Hotel. Hast du mich denn nie gesehen?» Okay, so langsam wird mir klar, wie sie beim ersten Mal so plötzlich auftauchen und verschwinden konnte. «Ich wohne hier auch, auf demselben Flur. Los, komm, wir holen meine Freundin ab.» Wir gehen zusammen den dunklen Gang hinab, bis wir in der Tür zu einem abgelegenen Zimmer stehen. Es ist halb so groß wie meines, es stehen aber drei eiserne Doppelstockbetten an den Wänden. Hier wohnen Linda und die anderen Hotelangestellten. Auf einem Bett sitzt eine Frau, ungefähr im gleichen Alter wie Linda, und kämmt sich gerade die Haare. «Das ist Xiao Wan», stellt Linda vor, «die Managerin des Hotels und meine Freundin.» Doch, die kenne ich. Sie hockt immer an der Rezeption und zieht ein missmutiges Gesicht, wenn ich die Lobby durchquere. Ich bin nicht gerade scharf darauf, sie mitzunehmen.
Aber ohne Xiao Wan können wir nicht ausgehen. Es stellt sich nämlich heraus, dass Linda noch nie in Wuhan essen war. Sie war auch noch nicht in Hankou, obwohl der Stadtteil gleich um die Ecke liegt und Linda schon seit einem Jahr in Wuhan arbeitet. Das Restaurant, in das wir gehen, hat also die Managerin ausgesucht, die sich mit Eingeladenwerden auszukennen scheint. Es liegt in der russischen Konzession, wo es Gärten vor den Restaurants gibt, wie in Europa. Xiao Wan ist auch diejenige, die bestellt: gedünsteten Aal, schön fettes Schweinefleisch und eins von diesen grünen Gemüsen, deren Namen ich mir nie merken kann. Es schmeckt wie immer alles ausgezeichnet, denn eigentlich gibt es nur im Westen schlechte Chinarestaurants. Beim Essen erfahre ich so peu à peu Lindas Geschichte. Sie ist gar nicht mysteriös. Linda stammt aus einer kleinen Stadt ein paar hundert Kilometer westlich von Wuhan. «Da war ich Grundschullehrerin, aber ich habe mich gelangweilt. Ich wollte was sehen von der Welt und bin nach Wuhan. Ich will auch nicht für immer in dem Hotel arbeiten. Im nächsten Jahr gehe ich weiter nach Osten, in die Nähe von Shanghai.» – «Und warum dahin?», will ich wissen. «Weil man dort mehr verdient?» – «Nein», wehrt Linda sofort energisch ab, «Geld ist mir nicht so wichtig. Wichtiger
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