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Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu

Titel: Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Y. Schmidt
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Barbapapa-Schminkspiegel ab, den sie aus ihrer Hello-Kitty-Geldbörse bezahlt. Solche Accessoires sind in China völlig normal für Frauen Ende zwanzig. In der nächsten Mall findet sie auch endlich etwas zum Anziehen. Es ist – ein Duplikat ihrer Umstandsbluse, diesmal nur in Blasstürkis statt Pink.

    In dieser Nacht träume ich davon, dass der Spielmannszug des Jangtsebrückenwachregiments fröhlich trommelnd und pfeifend um mein Hotel zieht, alle Soldaten gekleidet in rosa Umstandsblusen. Als ich aufwache, marschiert tatsächlich ein Spielmannszug draußen. Nur, die Soldaten tragen ihre normalen Uniformen, worüber ich sehr erleichtert bin. Trotzdem ist es Zeit abzureisen. Ich kann auch gar nicht anders, denn ich habe ja Linda gegenüber behauptet, dass ich heute weitermuss. Tatsächlich will ich aber nur nach Wuchang, auf die andere Seite des Flusses, weil dort die Vox-Bar liegt. Beim Auschecken ist mir, als ahne Xiao Wan etwas, doch woher sollte sie? Sie guckt einfach nur so missmutig bis gleichgültig wie immer, als ob wir niemals zusammen «bummeln» gewesen wären. Sie hat noch nicht einmal ein durchschnittlich nettes Abschiedswort für mich. Auch Linda lässt sich nicht blicken, sie musste zum Englischunterricht. Doch ich habe auch keinen großen Bahnhof erwartet. Chinesen kennen keinen sentimentalen Abschied. Sie sagen kurz «Auf Wiedersehen», drehen sich um und gehen ihrer Wege.

    Auf der Wuchanger Seite quartiere ich mich noch für eine letzte Nacht in das Hotel am Busbahnhof ein, in dem ich schon am ersten Tag gewohnt habe. Von hier aus starte ich am Abend meine gefährliche Expedition in die Vox-Bar. Als ich in den Bus steige, der ins Univiertel fährt, bin ich bestens präpariert. Ich habe keinen Rucksack dabei, nur ein neues Notizbuch und im Portemonnaie so wenig Geld wie möglich, dafür aber zweihundert Yuan im linken Socken. Das ist vielleicht lächerlich, und es kann gut sein, dass ich es mit den Vorsichtsmaßnahmen übertreibe. Schließlich sind die Punks, die ich in Peking kenne, allesamt recht umgängliche Menschen. Ich bin sogar mit einer kleinen Gruppe von Skinheads lose befreundet, die auf der Bühne «Fuck the police» und «Fuck the government» singen, und auch die sind sehr freundlich, jedenfalls zu mir. Aber wer weiß, vielleicht hat David ja recht, und in Wuhan ist alles anders. Man darf nie vergessen, wie sprunghaft die Chinesen sind: Taiping-Rebellion und Kulturrevolution sind dafür die besten Beispiele. Apropos: War die Kulturrevolution nicht der erste, größte und radikalste Punk-Akt der Geschichte? Damals hat die chinesische Jugend alles gemacht, was sich die Punks erst zehn Jahre später auf ihre Lederjacken schrieben: Chaos! Destroy! Und leider auch: Shoot! Und: Kill! Nur Fuck! haben sie wohl ausgelassen.
    Im Bus scheinen sich Davids Drogenwarnungen zu bestätigen. Ein paar Reihen vor mir sitzt ein schmales Hemd mit Stecknadelaugen wie ein Junkie. Ich bin hocherfreut, weil dieser junge Mann mich garantiert zur Vox-Bar führen wird. Doch der Junkie steigt zwei Kilometer vor dem Univiertel aus. Ich verpasse auch glatt die richtige Haltestelle und muss an einer breiten Ausfallstraße zwei Stopps zurückgehen. Es ist allerdings nicht sonderlich furchterregend hier draußen. Eine Rockband spielt auf der Straße, drum herum wird gegrillt und Bier getrunken, und vor einer Motorradwerkstatt hoppeln weiße Zwergkaninchen.
    Auch die Vox-Bar verliert in dem Moment ihren Schrecken, in dem ich sie betrete. Ein langer Schlauch ohne Fenster mit einer Bühne am Frontende, hinter die jemand «Tashkent Veliky Gorod» und «Skate or die» an die Wand geschrieben hat. Ich setze mich an die Theke und bestelle eine Flasche Tsingtao für fünf Yuan. Das ist ziemlich billig, dafür schmeckt das Bier auch nicht. Es ist nämlich gar kein Tsingtao, sondern «ein Bier, das auch aus Tsingtao kommt», wie der Barmann mir lächelnd erklärt. Das Bier aber ist auch das einzig Gefährliche in diesem Laden, der damit wirbt, «Voice of freedom – voice of youth» zu sein. Die freie Jugend besteht hauptsächlich aus in-und ausländischen Studenten, jungen, aufgetakelten Engländerinnen, die ihre babyspeckigen Oberkörper in knallenge Spaghetti-Tops gepresst haben, ein paar schlaksigen Äthiopiern, besoffenen Amerikanern, die mit nacktem Oberkörper durch die Gegend torkeln, ebenso betrunkenen Nepalesen, einigen chinesischen Kinderpunks und chinesischen Girls, die sich vielleicht ein bisschen Sorgen darum

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