Allein unter 1,3 Milliarden: Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu
Wasser: «Genau. Steht dort geschrieben. Dahinter liegt Maos Villa.» Er verrät mir auch, dass es einen zweiten Zugang zu der Insel gibt. Hier stehe ich etwas später wieder vor einem Tor, das diesmal durch eine Schranke versperrt ist. Gleich kommt ein Uniformierter angelaufen. Er mustert mich von oben herab und sagt dann geringschätzig: «Hier gibt es nichts zu sehen.»
Maos Villa ist also aus Wuhan verschwunden, praktisch kommentarlos und über Nacht, für Leute wie mich, die an der ersten Brücke über den Jangtse mitgebaut haben, ist das hart. Dafür ist die Stadt sonst sehr angenehm und keineswegs der Moloch, den man im Westen gerne an die Wand malt, wenn man von chinesischen Megastädten spricht. Das macht allein das viele Wasser. Weil es im Sommer so heiß wird – Wuhan gilt als eine der vier sogenannten Hochofenstädte Chinas, häufig sind es im Juli über vierzig Grad –, hängen viele Leute auf den Uferterrassen der beiden großen Flüsse ab; so wirkt die Stadt wie ein großes Freibad. Am angenehmsten ist, dass es hier kaum Hello-Schreier gibt. Wahrscheinlich muss eine chinesische Stadt mindestens zehn Millionen Einwohner haben, damit die Leute etwas distanzierter mit Ausländern umgehen; in Peking und Shanghai bleibt man jedenfalls ebenfalls unbehellot. Auch kleiden sich die Wuhaner urbaner. Dabei bevorzugt die Jugend Angepunktes. Jungs tragen zerrissene Jeans, Mädchen ebensolche Miniröcke, und beide Geschlechter färben sich die Haare. In der Stadt soll es sogar einen berühmten Punkschuppen geben, die Vox-Bar. Ich würde gerne hingehen, wenn ich wüsste, wo sie ist.
Nach knapp zwei Wochen auf der Straße könnte ich nämlich mal wieder etwas Gesellschaft vertragen, und damit meine ich Leute, mit denen ich mich nicht nur in meinem Gastarbeiterchinesisch unterhalten kann. Falls ich die Punks nicht finde, würde ich inzwischen sogar mit Expats vorliebnehmen. Seitdem ich aus Shanghai los bin, habe ich keinen Weißen mehr gesehen, und seltsamerweise beginnen mir meine käsigen Kulturgenossen zu fehlen. Selbst gegen meine Landsleute, von denen es hier einige geben soll, hätte ich nichts. Die haben offenbar eine ganz besondere Beziehung zu Wuhan. Die Stadt war sogar mal deutsch, jedenfalls zu Teilen. Seit 1895 gab es in Hankou eine deutsche Konzession – also einen Stadtteil unter ausländischer Verwaltung –, was aber heute weitgehend vergessen ist, auch in Deutschland selbst. Hier weiß man vielleicht gerade noch, dass die heutige Stadt Qingdao (früher «Tsingtao» geschrieben) vor dem Ersten Weltkrieg eine deutsche Kolonie war, wegen der Bierbestellungen im Chinarestaurant.
Die Konzession in Hankou war allerdings auch nicht besonders groß; mit weniger als einem halben Quadratkilometer hatte sie ungefähr die Fläche des heutigen Vatikanstaats. Und als China im August 1917 Deutschland den Krieg erklärte, war es schon wieder vorbei mit Deutsch-Hankou. Doch auch danach verlor die Stadt nicht ihre Anziehung auf die Deutschen. Im März 1938 soll Wehrmachtsgeneral von Falkenhausen, seinerzeit der höchste Militärberater von Diktator Chiang Kai-shek, die Schriftsteller W. H. Auden und Christopher Isherwood in Wuhan mit dem Satz empfangen haben: «Letzte Nacht ist die deutsche Armee in Österreich einmarschiert.» Und auch wenn für die Deutschen kurz darauf nicht nur in China Pause war, kamen sie gleich nach der Öffnung des Landes wieder zurück in ihre chinesische Lieblingsgroßstadt. 1984 wurde der deutsche Ingenieur Werner Gerich zum Generaldirektor der Wuhaner Dieselmotorenwerke ernannt. Er war damit seit der Revolution 1949 der erste ausländische Fabrikdirektor im ganzen Land.
Ich bin mir also sehr sicher, dass ich in dieser Stadt Deutsche treffen werde, und finde bald auch eine erste Spur. In einer Passage unter dem Wal-Mart kaufe ich ein Heftchen, das auf Englisch «War» heißt. Es zeigt eine Gruppe von Wehrmachtssoldaten irgendwo an der Ostfront, daneben steht etwas auf Chinesisch, daneben «German Submarine» sowie «Sad years». Ja, ja, die traurigen Jahre zwischen 33 und 45. Später komme ich an einem Bauzaun für einen Straßentunnel vorbei, den man unter dem Jangtse baut: Ein unbekannter Computerkünstler lässt auf dem Zaun dicke BMW mit Münchner Kennzeichen durch die zukünftige Unterführung brausen. Das ist umso erstaunlicher, als derzeit in China keine im Ausland zugelassenen Autos fahren dürfen. Haben die Deutschen in Wuhan demnächst wieder Sonderrechte wie zur Zeit der
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