Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
während wir in unsere Gedanken, ins Gespräch und in sonstige heilige Aktivitäten vertieft sind. Der stellvertretende Rabbiner erzählt mir von einem neuen Problem, mit dem es die Kölner jüdische Gemeinde und der Tempel zu tun haben. Ein Kölner städtischer Beamter rief in der Synagoge an und bat um einen kleinen Gefallen: Einige israelische Juden aus der dortigen Schwulenszene kommen bald nach Köln. Wie sie dem Beamten sagten, würden sie gerne einen Gottesdienst im Tempel besuchen, und er versucht nun herauszufinden, ob sich das machen läßt.
»Verstehen Sie jetzt«, sagt der stellvertretende Rabbiner zu mir, »warum es manchmal besser ist, stellvertretender Rabbiner zu sein als Rabbiner? Das ist eine schwierige Frage, aber ich muß sie nicht beantworten, es liegt nicht in meiner Verantwortung.«
Was hat der Rabbi dem Beamten gesagt?
»Der Rabbi bat um mehr Zeit für die Antwort.«
Worauf wartet er?
»Er wird die Frage dem Vorstand vorlegen, und der Vorstand wird entscheiden.«
Jawohl. Wir brauchen sündhaft teure Riesenbauwerke sowie importierte Geistliche, um zu entscheiden, ob ein schwuler Jude beten kommen darf.
Ich meine – und Sie dürfen mich ruhig zitieren –, daß sich die jüdische Gemeinde in Köln und die muslimische Gemeinde in Duisburg, die beide über so eindrucksvolle Bauten verfügen, vereinigen sollten. Vielleicht sollten sie einen gemeinsamen Verein gründen, die Diskriminierer-und-Vorurteilsbeladenen-Vereins-GmbH.
Das wäre ein neuer Weg, Frieden zwischen Juden und Muslimen zu stiften, zumindest zwischen den religiösen Teilen ihrer Bevölkerungen.
Ich frage den stellvertretenden Rabbiner, was er anstelle des Rabbiners täte.
Er persönlich glaubt nicht, daß es eine gute Idee wäre, besagte Juden einen Gottesdienst besuchen zu lassen.
Und warum nicht?
»Das würde die Gottesdienstbesucher erschrecken«, sagt er, »und am Ende kommen sie nie wieder in den Tempel.«
Die Gottesdienstbesucher. Was hat der Plural hier zu suchen? Es gibt einen Gottesdienstbesucher, den Überlebenden. Würde es den alten Mann erschrecken?
»Ja«, antwortet der stellvertretende Rabbiner.
Armer Jude. Ist es nicht schlimm genug, daß er die Nazis erlebt hat? Der Anblick eines schwulen Juden könnte ihm endgültig den Garaus machen.
Köln.
Spazieren Sie weiter, und Sie gelangen zu einem Museum, einem modernen Museum, einem Köln-Museum. Es heißt, wie Sie vielleicht schon vermutet haben, Schokoladenmuseum. Ja: Dort sehen Sie, wie Schokolade hergestellt wird, von der Sie obendrein ein Stück geschenkt bekommen.
Willkommen in Köln.
Ich gehe weiter. Schöne Aussichten und Plätze. Eine Fußgängerzone beispielsweise. Hier findet gerade eine Demonstration statt. Deutschiraner demonstrieren gegen die Brutalität des iranischen Regimes. Sie zeigen Bilder zum Beweis. Blutverschmierte Köpfe und andere Organe, Gaben des Regimes an alle, die nicht gehorchen oder anders sind. Anhand der Fotos läßt sich nicht entscheiden, ob irgendeines der hier fotografierten Opfer tot oder lebendig ist. Nicht, daß es einen großen Unterschied machen würde. Angesichts der Verfassung, in der sich die Leute auf diesen entsetzlichen Bildern befinden, wäre der Tod vielleicht sogar vorzuziehen.
Als ich die Demonstranten näher betrachte, kommt mir irgend etwas an ihnen falsch oder befremdlich vor. Ich kann es zunächst nicht benennen. Es dauert ein paar Minuten, dann wird es mir klar: Ich sehe unter den Demonstranten keine deutschen Deutschen. All diese Deutschen, die sofort mit dabei sind, wenn es darum geht, palästinensische Demonstrationen gegen Israel – oder die Juden – zu unterstützen, fehlen hier. Obwohl diese Iraner ähnlich schreckliche Bilder zeigen.
Willkommen in Köln. Gönnen Sie sich eine Wurst und ein Bier und versuchen Sie, alles andere zu vergessen.
Köln.
Heute präsentiert die Kölner Philharmonie eine Produktion der Gershwin-Oper Porgy and Bess , gespielt vom New York Harlem Theatre.
Eine Dosis Englisch kann ich gut gebrauchen! Also gehe ich hin.
Im Unterschied zu den Gottesdiensten in den Synagogen ist diese Veranstaltung bis auf den letzten Platz besetzt.
Die Oper beginnt. Es sind so viele Menschen auf der Bühne, daß sie sich kaum bewegen können.
Sie singen. Angeblich auf englisch.
Wer ist diese New York Harlem Theatre-Gruppe? Wo genau in Harlem hat sie ihren Sitz? Einen New Yorker Akzent haben diese Leute nicht. Seltsam.
Rund zwei Stunden später treffe ich zufällig auf den
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