Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Mauern in dieser Kirche den Zweck hätten, uns zu lehren: Das ist alles, was du bist, ein Hühnchen, das jemandes Hunger stillen wird.
Was machen diese Knochen hier? Fragen Sie nicht mich. Malek, ein Deutschpole, der die Schatzkammer beaufsichtigt, steht an der Eingangstür und berechnet zwei Euro für das Vergnügen, diese menschlichen Überreste zu sehen. Ich halte einen kleinen Schwatz mit ihm.
Ist es nicht furchtbar, täglich diese Menschenknochen zu sehen?
»Überhaupt nicht«, antwortet er. »Ich bin Archäologe und an solche Anblicke gewöhnt.«
Und diese Art von Ausstellung, die ihn ständig an den Tod erinnert, stört ihn nicht?
»Jeder Gläubige sollte ständig an den Tod denken!« predigt er mir.
Warum?
»Wenn Sie nicht gläubig sind, kann ich Ihnen dazu nichts sagen, da Sie es doch nicht verstehen würden.« Punkt.
Glauben Sie mir, wenn ich diese Knochen sehe, dann glaube ich alles, was man mir über die Jungfrau Ursula erzählt. 11000 Jungfrauen? Ja, glaube ich. Bevor meine eigenen Knochen golden angemalt werden und ein Deutschpole ein Bündel Euros aus meinen toten Teilen herausholt.
11000 Jungfrauen. Christliche Jungfrauen, keine islamischen. Samide aus Marxloh kommt nicht hierher. Das hier ist nicht das Paradies, sondern ein gräßlicher Ort mit einer gräßlichen Legende.
Wenn Sie weiter durch die Stadt laufen, gelangen Sie zur großen Synagoge. Eine der schönsten Synagogen, die ich je gesehen habe. Ihre Architektur stellt die Einfachheit in den Dienst der Schönheit, sie läßt Bögen und Kreise in ein endloses Ende auslaufen, vielleicht in die Tiefe der Seele und des Heiligen. Jemand, der hier beschäftigt ist, sagt mir, Pauls Opapa, Konrad Adenauer, habe diese Synagoge errichten lassen. Wer auch immer es war, sie muß Millionen gekostet haben.
Als ich an einem Freitagabend hineingehe, bin ich von ihrem Anblick so überwältigt, daß mir zunächst gar nicht auffällt, wie leer dieser Tempel mit seinen 500 Plätzen ist. Erst als mir der Kantor bedeutet, ich möge meinen Kopf bedecken, fallen mir die Menschen hier drinnen auf oder besser, ihre Abwesenheit. Dort ist der Rabbi, da der Kantor und da drei Russen, die hier arbeiten. Das ist alles. Und ich, ja. Mehr nicht. Der Nachmittagsgottesdienst geht zu Ende, gleich wird der Abendgottesdienst gefeiert. Vier Touristen kommen herein. Füllt sich doch, Mann! sage ich zu mir. Die Abendandacht beginnt, und wir sind insgesamt elf Personen, mich eingeschlossen. Vier Touristen, Rabbi und Kantor, drei Beschäftigte, meine Wenigkeit sowie ein »Überlebender«, wie es heißt.
Wenigstens ein Deutscher, sage ich zu meinem Nebenmann.
»Das ist kein Deutscher«, wird mir entgegnet, »sondern ein Russe.«
Touristen und Angestellte nicht mitgezählt, ist heute abend ein Gottesdienstbesucher aufgetaucht.
Eine Millionensumme und eine Riesenanlage für einen alten russischen Juden. Ginge es nach mir, würde ich ihn für den Rest seines Lebens im Excelsior Hotel Ernst einquartieren, was entschieden billiger wäre.
Das deutsche Judentum in seiner untergegangenen Pracht war größtenteils liberal, man gehörte zur Reformbewegung. Die heutigen deutschen Juden, die Benutzer von immens teuren, aber leeren jüdischen Tempeln und Institutionen, sind größtenteils orthodox. Und in der Regel importiert. Der Rabbi hier ist Schweizer, der Kantor Israeli. Auf meiner Reise durch Deutschland habe ich ebendieses Phänomen in vielen Städten beobachtet. Die geistigen Führer der jüdischen Gemeinden in Deutschland, die ich getroffen habe, sind oft Leute, die es inihren Heimatstädten nicht geschafft haben. Sie sind nicht gut genug für ihre Heimatländer, aber jeder ist gut genug für die Leere des jüdischen Lebens in Deutschland.
Ich kann die Frau am Tisch des Oberrabbiners in München mir ins Ohr flüstern hören: Hab ich’s Ihnen nicht gesagt?
Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland – in Köln wie in den anderen Städten, die ich besucht habe – ist ein einziger riesiger Friedhof. Wohl mag es hier und da gewisse Lebenszeichen geben, aber das sind bloß Geister. Lebende Tote.
In diesem großen Gebäude befindet sich ein Mahnmal für die 11000 Kölner Juden, die im Zweiten Weltkrieg umkamen.
11000 Jungfrauen. 11000 Juden. Köln liebt die 11000. Eine schöne Zahl.
Der Gottesdienst ist zu Ende, und alle elf Besucher verlassen die heilige Stätte. Der stellvertretende Rabbiner und ich machen einen Spaziergang und schlendern an Schwulenkneipen vorbei,
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