Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Schon mal gehört? Ich auch nicht. Ich gehe in eine Kneipe. Ich habe keine Ahnung, wer diese Menschen hier sind. Nur, daß sie alle Bier trinken, ist unübersehbar. Ich setze mich zu ihnen und frage sie: Ist es gut, daß die DDR der Vergangenheit angehört? Drei Gäste sind in der Kneipe, trinken Bier und Schnaps und antworten mir:
»Die DDR war viel besser. Wir hatten alle Arbeit. Wir waren alle krankenversichert.«
Sie öffnen sich, der eine nach dem anderen und der andere nach dem einen:
»Es ist nicht wahr, was man über die Stasi erzählt. Wir hatten ein gutes Leben. Alles, was sie wollten, war, daß die Menschen nicht weggehen. Ja, wenn man etwas gegen die Regierung gesagt hat, dann haben sie dir etwas angetan. Aber das ist heute auch nicht anders. Sprich dich gegen das System aus, und du wirst dafür bezahlen.«
»Zu DDR-Zeiten waren wir alle zusammen, das ganze Volk, und kümmerten uns umeinander. Heute ist es nicht mehr so. Die Westdeutschen sind individualistisch. Sie ziehen hierher, in unser Viertel, und bauen sofort Zäune um ihre Häuser. Sie wollen nichts mit uns zu tun haben.«
»In dieser Gegend ist die Hälfte der Menschen arbeitslos. Sie können keine Arbeit finden. Die Mauer fiel, und was war dann? Schauen Sie sich doch um. Die Leute essen aus den Mülltonnen. In der DDR hatten alle Menschen das Recht auf Arbeit, und es war ganz egal, ob sie klug waren oder nicht. Das ist heute anders. Sie sagen, daß wir zu DDR-Zeiten eine Diktatur hatten. Was haben wir denn heute? Demokratie mit Kriminellen. Überall Verbrechen.«
»Ich bin seit 35 Jahren verheiratet. Meine Frau arbeitet seit 39 Jahren für dieselbe Firma. Und nach dieser ganzen Zeit verdient sie 620 Euro im Monat, netto. Für 170 Stunden. Brutto sind das 5,62 Euro die Stunde. Sie ist Floristin. Wie können wir davon leben? Fragen Sie Frau Merkel.«
»Es gibt zwei Deutschlands, eins im Westen und eins im Osten. Wir haben die gleichen Wurzeln, aber wir sind unterschiedliche Leute. Die Westler sind arrogant und behandeln uns wie Dreck. Wir Menschen hier halten alle zusammen. Wir hatten es mal besser. Die Mauer ist gefallen, und wir müssen dafür blechen. Die Westdeutschen sind reicher geworden und wir ärmer.
Schreiben Sie das auf? Gut. Höchste Zeit, daß die Menschen mitbekommen, was hier wirklich los ist.«
»Nach dem Fall der Mauer unterschrieb ich einen Vertrag über ein Sparbuch in einer Geschäftsstelle im Westen. Ich gab ihnen 30 000 DM. Im ersten Jahr bekam ich so etwas wie Zinsen von ihnen, aber dann ging die Firma pleite. Mein ganzes Geld hatte sich in Luft aufgelöst. Ich beauftragte einen Anwalt,aber das brachte mir nur neue Kosten ein. Ich hätte mein Geld besser unter der Matratze verstecken sollen.«
»Was ist das für ein Gerät, das Sie da haben? Ist das eine versteckte Kamera?«
Ein neuer Gast, der auf einen Tee vorbeigekommen ist, führt aus: »Früher war dieses Land ein Gefängnis mit einer Mauer. Jetzt ist es ein Gefängnis mit Geld.«
Und ein anderer: »Geschäftsleute sind Menschen, die besser betrügen können als andere.«
»Es ist besser, der erste Mann in einem kleinen Dorf zu sein als der zweite in Rom«, philosophiert ein weiterer.
Und noch ein Mann betritt das Lokal. War es in der DDR besser? frage ich ihn.
»Viel besser.«
Niemand hier findet die deutsche Innenpolitik gut. Wie sieht es mit der Außenpolitik aus? Ja, auch zu der hat jeder seine Meinung. Geharnischte Meinungen.
»Raus aus Afghanistan. Eine Mauer drum und abziehen!«
»Israel sollte man zeigen, wo der Hammer hängt. Denen muß man mal sagen, daß jetzt Schluß ist!«
»Die Israelis sind Nazis.«
»Die machen mit den Palästinensern, was wir mit ihnen gemacht haben.«
Mögen Sie Gregor Gysi?
»Ja!«
Ist Gregor Gysi Jude?
»Nein.«
»Kann nicht sein«, sagt ein anderer.
Warum nicht?
»Geht nicht. Unmöglich«, sagt eine blonde Frau.
Ja, natürlich. Sie schätzen Gregor Gysi so sehr, daß er einfach kein Jude sein darf. Was für eine Welt!
Draußen sieht man heruntergekommene Gebäude mit »Zu verkaufen«-Schildern. Die baufälligen Häuser sind mit Unmengen von Elvis-Presley- und Michael-Jackson-Postern beklebt. Auch einige Neubauten gibt es, an denen Hinweisschilder »Luxusapartments« versprechen. Am Rand des Viertels wurden Wohneinheiten hochgezogen und mit Zäunen eingefaßt, die die zugezogenen Mieter vor dem »Dreck« ringsum schützen sollen. Geht man ein Stückchen weiter, dann enthüllt sich dem Auge bald
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