Allein unter Deutschen: Eine Entdeckungsreise (German Edition)
Paar kennen, Herrn und Frau Schmidt. Er ist gebürtiger Dresdner, sie stammt aus Köln. Sie leben bei Köln und verbringen ihren Urlaub hier. Warum hier? Um den Kindern, die in der Nähe spielen, Papas Heimatstadt zu zeigen. Vermißt er die Stadt? Ja, tut er. Würde er gerne hierher zurückziehen? Er wünschte, er könnte, aber er hat eine Stelle in Köln, die er verlöre, wenn er wegginge. Was für eine Stelle? Er ist beim WDR.
Ich betrachte ihn genauer. Nein, er hat bestimmt nicht mit diesem Herrmann von der Kölner Klagemauer zusammengearbeitet. Nein. Glaube ich jedenfalls.
Zusammen bewundern wir die Landschaft, und er sagt mir, was er sieht.
Die Alpen der Sächsischen Schweiz. Ja, so nennt man die Gegend am Horizont hier.
Dieser Mann könnte der Sohn einer Trümmerfrau sein, geht mir durch den Kopf.
Mit was für einer geschichtlichen Last dieses Land ständig zurechtkommen muß.
Im deutschen Fernsehen und in der Presse ist die Love Parade in Duisburg nach wie vor das beherrschende Thema. Die Zahl der Verletzten ist auf über 500 gestiegen. Auch die internationalen Medien beschäftigen sich mit dieser Geschichte.
Der Telegraph berichtet: Bürgermeister der Love-Parade-Stadt beim Besuch der Unglücksstätte angepöbelt.
»Sie gieriger Idiot!« brüllte einer. »Zurücktreten, du Feigling«, brüllte ein anderer. Ein Mann warf mit Müll aus einem Papierkorb nach ihm.
Adolf Sauerland ist einer der witzigsten und kompetentesten Menschen, die ich auf meiner Reise kennengelernt habe. Er gibt sich große Mühe, es einem jeden Duisburger rechtzumachen. Aber jetzt scheint er zu einem der meistgehaßten Menschen dort geworden zu sein. Wie schnell sich das Schicksal wenden kann!
Soweit ich das mitbekomme, fordern die deutschen Medien seine Amtsenthebung.
Vielleicht haben sie recht. Aber ist es für ein Urteil nicht ein bißchen zu früh? Warum übereilt Schlüsse ziehen, wenn noch nicht einmal alle Fakten bekannt sind? Könnte es nicht sein, daß die Schuld auch bei der Polizei liegt, die die Besucherströme falsch gelenkt hat? Oder auch – ich war nicht dabei und kann es daher nicht wissen – ein wenig bei den Technofans selbst? Könnte es nicht auch der Fehler der Veranstalter sein, die sich schließlich besser mit den Details auskannten als der Bürgermeister?
Wenn die Medien gerne mit dem Finger auf jemanden zeigen wollen, dann sollten sie auf alle Beteiligten zeigen. Jeder sollte seinen Teil der Schuld tragen. Die Medien jedoch machen es sich leicht und suchen den einen Schurken, den sie an den Pranger stellen können.
Ich sollte Paul Adenauer nach seiner Meinung zu alldem befragen.
Ich nehme eine Tram und fahre bis zur Endstation. Ich bin jetzt in Hellerau. Weiß Gott, was es mit diesem Ort auf sich hat. Kleine und mittelgroße Häuser überall, auf den Straßen und in den Gärten jedoch keine Menschenseele. Aber Moment, hier, ein Mann mit Hund. Er hält mir einen Vortrag. »Diese Gegend wurde vor dem Krieg von NSDAP-Mitgliedern besiedelt. Sie investierten hier nach Hitlers Machtergreifung. Wollten sich ein schönes Leben machen. Sie überlebten die Bombardements von 1945, weil sie nicht in der Stadt waren. Nach dem Krieg flohen diese Nazi-Funktionäre nach Westdeutschland. Nach Frankfurt und sonstwohin. Die Häuser, die sie zurückließen, wurden vom Staat beschlagnahmt und an Menschen gegeben, die ihr Zuhause bei dem Bombenangriff auf Dresden 1945 verloren hatten. Nach dem Fall der Mauer gab der Staat die Häuser ihren ursprünglichen Eigentümern oder deren Familien zurück, wenn sie beweisen konnten, vor der Beschlagnahmung in ihrem rechtmäßigen Besitz gewesen zu sein. Einige von ihnen kamen hierher, um hier zu leben, andere verkauften ihren Besitz. Meine Familie und ich, wir mußten zum Glück unser Haus nicht verlassen. Niemand verlangte das, und der Staat bot uns an, das Haus zu einem sehr günstigen Preis zu kaufen. Meine Großmutter, die der Kommunistischen Partei angehörte, war vor dem Krieg Ministerin.«
O Gott, diese Leute haben wirklich eine komplizierte Geschichte. Ich nehme die nächste Tram zurück in die Innenstadt und steige in den Zug nach Meißen.
Waren Sie schon einmal in Meißen? Ich auch nicht, aber jetzt bin da.
Ein älteres Paar steht am geöffneten Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock. Sie beobachten die Menschen auf der Straße, darunter mich, und unterhalten sich. Ob sie gegen die DDR demonstriert haben, frage ich sie. Ja, sie haben damals an den Demonstrationen
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